Das Tal der Angst
strömenden Bächen und blühenden Bäumen. Hoffnung erfüllte die ganze, so lange von einem eisernen Griff festgehaltene Natur; aber nirgendwo gab es Hoffnung für die Männer und Frauen, die unter dem Joch des Schreckens lebten. Noch nie war die Wolke über ihnen so dunkel und hoffnungslos gewesen wie im Frühsommer des Jahres 1875.
13. Gefahr
Es war der Höhepunkt der Schreckensherrschaft. McMurdo, der bereits zum Aufseher ernannt worden war und alle Aussichten hatte, McGinty eines Tages als Logenmeister nachzufolgen, war bei den Versammlungen seiner Gefährten inzwischen so unentbehrlich, daß man nichts mehr ohne seine Hilfe und seinen Rat unternahm. Je beliebter er indessen bei den Freimaurern wurde, desto finsterer waren die Blicke, die ihm begegneten, wenn er durch die Straßen von Vermissa ging. Trotz ihrer Angst faßten sich die Bürger ein Herz, um sich gegen ihre Unterdrücker zusammenzuschließen. Gerüchte über geheime Zusammenkünfte in der
Herald
-Redaktion und über die Verteilung von Feuerwaffen an die gesetzestreuen Leute waren zur Loge gedrungen. Aber McGinty und seine Männer ließen sich durch solche Berichte nicht beunruhigen. Sie waren zahlreich, entschlossen und wohlbewaffnet. Ihre Widersacher waren verstreut und machtlos. Dies alles würde, wie bereits in der Vergangenheit, in ziellosem Gerede und vielleicht mit wichtigtuerischen Festnahmen enden. Das war die Meinung von McGinty, McMurdo und all den kühneren Männern.
Es war ein Samstagabend im Mai. Samstags fand immer der Logenabend statt, und McMurdo war eben dabei, das Haus zu verlassen, als Morris, keiner der Kühneren des Ordens, ihn besuchen kam. Seine Stirn war sorgenzerfurcht, und sein freundliches Gesicht wirkte abgehetzt und eingefallen.
»Darf ich offen mit Ihnen reden, Mr. McMurdo?«
»Natürlich.«
»Ich kann nicht vergessen, daß ich Ihnen einmal mein Herz ausgeschüttet habe und daß Sie’s für sich behalten haben, obwohl sogar der Boss persönlich zu Ihnen gekommen ist, um Sie darüber auszufragen.«
»Was sollte ich denn sonst tun, wenn Sie sich mir anvertrauten? Nicht, daß ich mit dem, was Sie gesagt haben, einverstanden gewesen wäre.«
»Das weiß ich wohl. Aber Sie sind der einzige, mit dem ich gefahrlos sprechen kann. Ich habe hier ein Geheimnis« – er legte die Hand an die Brust –, »und es brennt mir fast das Leben aus dem Leib. Ich wünschte, es wäre irgendeinem von euch zugefallen, anstatt mir. Wenn ich es verrate, bedeutet es mit Sicherheit Mord. Wenn ich es nicht tue, stürzt es uns wahrscheinlich alle ins Verderben. Gott steh mir bei, aber ich verliere darüber fast den Verstand!«
McMurdo blickte den an allen Gliedern zitternden Mann ernst an. Er goß etwas Whisky in ein Glas und reichte es ihm.
»Das ist die richtige Medizin für Leute wie Sie«, sagte er. »Jetzt lassen Sie mal hören, worum es geht.«
Morris trank, und sein bleiches Gesicht nahm einen Hauch Farbe an.
»Ich kann Ihnen alles in einem Satz sagen«, begann er. »Ein Detektiv ist uns auf der Spur.«
McMurdo starrte ihn verblüfft an.
»Mann, sind Sie verrückt?« sagte er. »Die ganze Gegend ist doch voll von Polizei und Detektiven, und was haben die uns jemals anhaben können?«
»Nein, nein; es ist kein Mann aus dem Distrikt. Die kennen wir, wie Sie richtig sagen, und die können nur wenig ausrichten. Aber haben Sie schon mal von Pinkerton’s 36 gehört?«
»Ich hab von Leuten gelesen, die so heißen.«
»Also Sie können mir glauben, wenn die einem auf der Spur sind, hat man keine Chance. Das ist kein wurstiger Beamtenladen. Das ist ein todernstes Geschäftsunternehmen, das auf Erfolge aus ist und durchhält, bis es sie auf Teufel komm raus auch erzielt. Und wenn ein Pinkerton-Mann sich erst einmal richtig hineinkniet, sind wir alle verloren.«
»Wir müssen ihn töten.«
»Ah, der Gedanke kommt Ihnen natürlich zuerst! So geht es immer aus bei der Loge. Habe ich Ihnen nicht gesagt, daß es mit Mord endet?«
»Was heißt denn schon Mord? Das erregt hier doch kein Aufsehen.«
»Ja, allerdings; aber ich will nicht noch auf den Mann aufmerksam machen, der ermordet werden soll. Ich käme nie wieder zur Ruhe. Dennoch sind es unsere eigenen Hälse, die vielleicht auf dem Spiel stehen. Was, in Gottes Namen, soll ich nur tun?« In seiner qualvollen Unentschlossenheit schwankte er hin und her.
Doch seine Worte hatten McMurdo zutiefst bewegt. Es war leicht zu erkennen, daß er des anderen Ansicht über die Gefahr und die
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