Das Testament der Götter
Gesicht. »Laßt die Götter und bekümmert Euch um mich.«
»Rechnet nicht damit.«
»Dies ist meine letzte Ermahnung.«
»Dürfte ich in die Forschungsstätte zurückkehren?«
»Den Berichten zufolge, die ich gerade erhalten habe, sind Eure Kenntnisse der Arzneikunde sehr ungenügend.«
Neferet verlor ihre Fassung nicht; ihre Arme auseinandernehmend, blickte sie ihren Ankläger fest an.
»Ihr wißt, daß das nicht stimmt.«
»Die Berichte sind eindeutig.«
»Ihre Urheber?«
»Arzneiheilkundige, die an ihren Ämtern hängen und wegen ihrer Wachsamkeit eine Beförderung verdienen. Wenn Ihr unfähig seid, ein zusammengesetztes Heilmittel zuzubereiten, habe ich nicht das Recht, Euch in den Kreis unserer Besten aufzunehmen. Ihr wißt, was das bedeutet, nehme ich an? Es wird Euch unmöglich sein, in der Hierarchie weiter voranzukommen. Ihr werdet auf der Stelle treten, ohne die besten Erzeugnisse der Wirkstätten verwenden zu können; da sie unter meiner Zuständigkeit stehen, wird Euch der Zugang zu ihnen verwehrt bleiben.«
»Es sind die Kranken, die Ihr damit bestraft.«
»Ich werde Eure Fälle fähigeren Berufsgenossen anvertrauen, als Ihr es seid. Wenn das Mittelmaß Eures Daseins zu bedrückend wird, werdet Ihr mir zu Füßen kriechen.«
Denes’ Sänfte setzte diesen in dem Augenblick vor Qadaschs Herrenhaus ab, als Richter Paser sich an den Türhüter wandte.
»Zahnschmerzen?« fragte der Warenbeförderer. »Rechtspflegerische Schwierigkeiten.«
»Um so besser für Euch! Ich, für meinen Teil, leide an Schwund des Zahnfleischs. Sollte Qadasch in Verlegenheiten sein?«
»Nur eine Kleinigkeit, die geklärt werden muß.« Der Zahnheilkundige mit den roten Händen begrüßte seine Besucher. »Mit welchem soll ich beginnen?«
»Denes ist der Leidende; was mich anbelangt, so komme ich, um über den Fall Kani zu entscheiden.«
»Meinen Gärtner?«
»Er ist es nicht mehr. Seine Arbeit verleiht ihm das Recht zur Unabhängigkeit.«
»Albernheiten! Er ist mein Untergebener und wird es bleiben.«
»Setzt Euer Siegel unter dieses Schriftstück.«
»Ich weigere mich.« Qadaschs Stimme zitterte.
»In diesem Fall werde ich ein Verfahren gegen Euch eröffnen.« Denes schritt ein.
»Behalten wir die Ruhe! Laß diesen Gärtner doch gehen, Qadasch; ich werde dir einen anderen beschaffen.«
»Es ist eine Frage des Grundsatzes«, widersprach der Zahnheilkundige.
»Eine gute Übereinkunft ist besser als ein schlechtes Verfahren! Vergiß diesen Kani!«
Mürrisch fügte sich Qadasch Denes’ Ratschlägen.
Letopolis war eine kleine, von Kornfeldern umgebene Stadt des Deltas; ihr Priesterkollegium widmete sich den Mysterien des Gottes Horus, des Falken mit Flügeln so weitumspannend wie das All. Neferet wurde vom Vorsteher empfangen, einem Freund Branirs, dem sie ihren Ausschluß aus der Gemeinschaft der amtlich bestallten Heilkundigen nicht verhehlt hatte. Der Würdenträger gewährte ihr Zugang zur Nische, die eine Statue des Anubis barg, jenes Gottes mit menschlichem Körper und Schakalkopf, der den Menschen die Geheimnisse der Einbalsamierung enthüllt hatte und den Seelen der Gerechten die Pforten der Anderen Welt öffnete. Er wandelte das leblose Fleisch in Leiber aus Licht. Neferet schritt um das Bildnis herum; auf dessen Rückenpfeiler war ein langer hieroglyphischer Text eingemeißelt, eine wahrhaftige Abhandlung über die Heilung ansteckender Krankheiten und die Läuterung der Körpersäfte. Sie prägte sich ihn ins Gedächtnis ein. Branir hatte beschlossen, ihr eine ganz besondere Heilkunst weiterzugeben, zu der Neb-Amun niemals Zugang haben würde.
Der Tag war ermüdend gewesen. Paser entspannte sich, indem er den Frieden des Abends auf Branirs Terrasse auskostete. Brav, der die Amtsstube bewacht hatte, gab sich ebenfalls einer wohlverdienten Erholung hin. Das ersterbende Licht strahlte noch über das Gewölbe und eilte zu den Rändern des Himmels.
»Ist deine Untersuchung vorangekommen?« fragte Branir.
»Das Heer versucht, sie zu unterdrücken. Überdies entspinnt sich eine Verschwörung gegen mich.«
»Kennst du deren Anstifter?«
»Wie sollte man nicht Heerführer Ascher verdächtigen?«
»Hab keine vorgefaßte Meinung.«
»Eine Anhäufung behördlicher Schriftstücke, die ich überprüfen muß, macht es mir unmöglich, mich zu rühren. Ich verdanke diese Flut wahrscheinlich Monthmose. Auf die Reise, die ich vorgesehen hatte, habe ich verzichten müssen.«
»Der Vorsteher der
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