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Das Testament der Jessie Lamb: Roman

Das Testament der Jessie Lamb: Roman

Titel: Das Testament der Jessie Lamb: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Rogers , Norbert Stöbe
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ausgehen würden, wenn sie könnten. Alle schicken mir Nachrichten, von wegen, wie tapfer ich wäre und so. Ich brauche ihn nicht. Ich könnte jeden haben.«
    »Du hast das auf Facebook gepostet? Dass du dich für das Programm gemeldet hast?«
    »Jep.«
    »Aber das sollte doch geheim bleiben.«
    »Nicht mehr lange. Bald wird man unsere Gesichter in der ganzen Welt kennen.«
    Dr. Nichol musste sie doch durchschaut haben? Mir wäre es lieber gewesen, sie hätte sich nicht gemeldet; sie besudelte das Ganze, als wäre das ein Projekt für Spinner. Vielleicht log sie auch.
    Dad rief spätabends zu Hause an und meinte, er sei bei Mandy, und dort sei alles friedlich. Er sagte, wenn es mir nichts ausmache, wolle er bei Mum bleiben, denn es sei nicht sicher, dass Mandy die Nacht überstehen werde. Ich sagte ihm, ich wolle mit Lisa nach Wales fahren. Es hatte keinen Sinn, ihm etwas anderes zu erzählen. Die Ungewissheit kam mir vor wie ein Rätsel, das man lösen muss, bevor man eine Schwelle überschreitet. Ich würde es tun, ich wusste, dass ich es tun würde; aber etwas musste mir erst noch die Zunge lösen, damit ich Ja sagen konnte.
    Am Morgen maß ich meine Temperatur und machte an der entsprechenden Stelle ein kleines Kreuz in die Tabelle. Dann ging ich zum Schuppen hinaus. Es war eine richtige Überraschung für mich, mein Fahrrad wiederzusehen. Im Reifenprofil haftete noch alter Dreck. Der stammte wohl von dem Ausflug, den ich mit Sal über den Treidelpfad unternommen hatte, vor einer ganzen Ewigkeit, in der Zeit vor MTS . Als ich das Rad zum Tor schob, platzte der Dreck ab und fiel auf den Boden. Ich fuhr zur Ashton Station und wackelte heftig mit dem Lenker, als ich einen Gang herunterzuschalten versuchte, doch der Hebel klemmte.
    Es hätte mich nicht gewundert, wenn Lisa Gabe zum Piccadilly mitgebracht hätte. Aber sie war allein gekommen; er hatte gemeint, er wolle nicht wie ein schmutziger Hippie leben, mit Schafen als einziger Gesellschaft. »Ich glaube, er wird es sich noch überlegen«, meinte sie, doch es war ihr anzumerken, dass sie nicht glücklich damit war. Mir kam der Gedanke, dass dies vielleicht der Grund war, weshalb sie mich gebeten hatte mitzukommen. Wir tauschten Neuigkeiten zu Wettenhall aus. Nat hatte sie von einem sicheren Telefon aus angerufen und ihr mitgeteilt, dass er sich versteckt halte, jedoch nicht mehr. Und ich fragte sie, was sie über den Flughafenprotest wisse. »Also, dadurch ist vollkommen klar geworden, dass Flughäfen Hauptziele des Terrorismus sind. So gesehen war es ein Erfolg.« Sie hatte von keinen Festnahmen von YOFI -Mitgliedern gehört.
    In Shrewsbury stiegen wir in einen kleineren, langsameren, leereren Zug um, und die Fahrräder nahmen wir mit ins Abteil. Lisa hatte eine Karte dabei und zeigte mir, wohin wir wollten – die Farm lag acht Meilen vom nächsten Bahnhof entfernt. Draußen zog die menschenleere, wogende Landschaft vorbei, Felder mit Schafen und merkwürdig geduckten Farmen. In der Ferne sah man höhere Hügel. Der Tag hatte mit grauem Nebel begonnen, doch nun brachen die Wolken auf. Ein Flecken blauer Himmel tauchte auf.
    Der Bahnhof, an dem wir aussteigen mussten, bestand aus einem Bahnsteig mit Ortsschild, einen Fahrkartenschalter gab es nicht. Wir schoben unsere Räder. Wir waren die einzigen Menschen weit und breit. Zur Rechten lag ein Terrassenhang mit dunklen Häusern und menschenleeren Gärten, die sich bis zu den Bahngleisen hinunterzogen. »Die Farm liegt links hinter dem Bahnübergang.« Lisa schwang sich auf ihr Rad, und ich fuhr hinter ihr her den Hügel hoch, halb so schnell, als wenn ich gegangen wäre, aber mit doppelter Kraftanstrengung. Trotzdem schaffte ich es bis zur Kuppe, und als ich bergab sauste, klickte es auf einmal, und die Schaltung funktionierte wieder.
    Nach dem stickigen Zug kam mir die Luft klar und frisch vor, und dank der körperlichen Bewegung pulsierte prickelnder Sauerstoff durch meinen Körper. Sonnenschein und Wolkenschatten wechselten sich ab, als wenn ein Scheinwerfer hier eine Steinmauer und dort ein grünes Feld oder ein silbriges Wäldchen herauspickte. Der nächste Hügel war steiler, und Lisa beugte sich weit auf den Lenker vor und musste heftig strampeln, um oben anzukommen. Auf halber Höhe stieg ich ab und schob. Die einzigen Geräusche waren mein keuchender Atem, das leise Schleifen einer Bremsbacke und das ferne Gekrächze der Krähen. Die Landschaft ringsumher erschien mir weit und leer, mit mir im

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