Das Testament der Jessie Lamb: Roman
Entscheidung zu treffen, für die Ihnen zukünftige Generationen dankbar sein werden, die jedoch Ihren Tod zur Folge hat. Sie müssen realistisch darüber nachdenken. Ab einem gewissen Punkt gibt es kein Zurück mehr, und Sie werden Ihre ganze Willensstärke brauchen.«
Ich versuchte nachzudenken, doch mir schwirrte der Kopf.
»Ich möchte, dass Sie sich so viel Zeit nehmen, wie Sie brauchen«, sagte sie. »Das ist Ihre Entscheidung. Sie brauchen jetzt nichts zu sagen, Sie müssen sich nicht heute entscheiden. Ich möchte, dass Sie einfach nach Hause gehen und Ihr Leben so lange fortführen, bis Sie sich vollkommen sicher sind. Wenn Sie sechs Monate brauchen, ist das auch in Ordnung, dann heißt das, Sie werden es nicht tun. Okay? Es entsteht kein Schaden, und Sie brauchen sich auch nicht zu schämen. Ich weiß, dass Sie sich im Moment unsicher sind, und kein Mensch will Sie unter Druck setzen. Leben Sie damit, achten Sie auf Ihre Gefühle, und warten Sie ab, ob sich alles klärt. Okay?«
Ich lachte, teilweise aus Erleichterung und teilweise aus Ärger darüber, dass ich es in die Länge zog. »Was passiert, wenn ich mir tatsächlich sicher bin?«, fragte ich.
»Sie können mich anrufen.« Sie reichte mir eine Karte mit ihrer Telefonnummer. »Hier in der Klinik oder auf dem Handy. Sie können mich jederzeit anrufen.«
»Aber werden Sie mich dann auch nehmen?«
»Falls Sie es wirklich tun wollen, werden wir Sie mit Freuden in das Programm aufnehmen.« Ich saß da wie ein Idiot. Ich begriff nicht, was das sollte. Ich hatte mich entschieden. Du meine Güte, stand meine Entscheidung nicht schon seit Langem fest?
»Erklären Sie mir genau, was passiert, wenn ich zu Ihnen komme und Ja sage.«
»Dann entfernen wir Ihr Implanon-Implantat. Und wir geben Ihnen eine Temperaturtabelle mit, der Sie entnehmen können, wann Sie Ihren Eisprung haben – so können wir den günstigsten Zeitpunkt für das Einpflanzen des Embryos bestimmen.«
»Können Sie das jetzt gleich machen?«
Sie zögerte. »Haben Sie einen Freund?«
»Nein. Nein. Ich brauche das Implanon nicht. Ich möchte, dass Sie es jetzt gleich entfernen.«
»Aber weshalb?«
»Weil … weil ich weiß, dass ich es will , und mich das ganz rappelig macht. Wenn Sie das Implanon entfernen, bin ich wenigstens einen Schritt weiter. Und wenn ich … am Ende … doch nicht …«
»Dann können wir es jederzeit wieder einsetzen«, sagte sie. »Also gut, Jessie, wenn Sie möchten.« Ich musste mich auf den harten Stuhl neben ihrem Schreibtisch setzen, dann machte sie sich mit einem kleinen, sirrenden Instrument an meinem Arm zu schaffen. Es fühlte sich an wie ein Zahnarztbohrer, dann verspürte ich einen brennenden Schmerz. Sie tupfte die Stelle mit etwas Kühlem ab und klebte ein Pflaster darauf. Ich musste daran denken, dass Mandy sich das Implanon mit einer Rasierklinge entfernt hatte. Sie hatte genau gewusst, was sie wollte.
Dr. Nichol gab mir eine Temperaturtabelle und erklärte mir, wie ich sie verwenden sollte. Wir trugen das Datum meiner letzten Periode ein, und sie zählte die Tage bis zum Beginn der Behandlung ab. Dann gaben wir uns die Hand, und ich fand ein wenig Trost im Brennen des Oberarms und der in meiner Tasche zusammengefalteten Tabelle.
Die erste Person, der ich nach der Besprechung mit Dr. Nichol begegnete, war Rosa. Sie saß draußen auf der Eingangstreppe. »Bist du noch dabei?« Sie wirkte irgendwie merkwürdig, und ich hatte den Eindruck, man habe sie abgelehnt.
»Ja, sicher. Und du?«
»Oh, ja, innerhalb der nächsten vier Wochen.« Ich musterte sie erneut und bemerkte, dass sie richtig dick geschminkt war. Irgendetwas war mit ihrem Gesicht. Sie richtete sich auf und ging neben mir her zur Bushaltestelle. »Hast du dir Zeit genommen, dir alles noch mal zu überlegen?«, fragte ich sie. »Bevor du dich endgültig entscheidest?«
»Das brauchte ich nicht! Ich war mir immer schon hundertprozentig sicher.«
»Und wenn du wieder herkommst …«
»Dann bleibe ich da!«
»Ist deine Mum wirklich damit einverstanden?«
»Ja, hab ich dir doch gesagt. Sie lässt ein Video machen.« Nach kurzem Schweigen sagte sie: »Wenn sie mich ärgern will, sagt sie, ich hätte nicht den Mut, es durchzustehen. Aber den hab ich. Ich werd’s ihr schon zeigen.«
»Und dein Freund?«
»Ach, von dem hab ich mich getrennt. Ein Loser.« Sie lachte. »Du solltest mal meine Facebookseite sehen. Ich habe Hunderte Fans, Hunderte attraktiver Männer, die mit mir
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