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Das tibetische Orakel

Titel: Das tibetische Orakel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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zwei Soldaten der Volksbefreiungsarmee auf, packten Tenzin und zogen ihn zwischen sich.
    »Für den ist das Büro für Religiöse Angelegenheiten zuständig«, murrte der Posten.
    »Nicht mehr«, widersprach einer der Soldaten. »Dieser Mann wird wegen eines militärischen Sicherheitsvergehens gesucht. Auf Befehl von Oberst Lin.«
    Der Wächter blickte über die Schulter zur Tür hinaus, als hoffe er auf Verstärkung. »Direktor Tuan muß darüber entscheiden. Das Büro für.«
    »Nein, Oberst Lin«, unterbrach der Soldat ihn und lächelte verständnisvoll. »Wir befolgen doch alle bloß unsere Befehle, Genosse. Richte das deinem Direktor aus.«
    Mit diesen Worten machten die beiden kehrt und schoben Tenzin zur Treppe.
    Der Posten wich zögernd und sichtlich verwirrt zurück. Dann drehte er sich um und blickte Shan mißtrauisch an.
    »Sehen Sie sich das an!« sagte Shan ungehalten und deutete auf die abgerissene Schnur mit den Flaggen. »Ausgerechnet am ersten Mai!«
    Der Mann schaute ins Haus, dann zu Shan und den Flaggen, murmelte etwas vor sich hin und ging weg.
    Shan holte Tenzin und die beiden uniformierten purbas an der Küchentür wieder ein und führte sie zu den Meditationszellen. Im Innern des alten Gebäudes half er Tenzin dabei, das Mönchsgewand gegen die Kleidung eines dropka einzutauschen, und brachte ihn dann in den Geheimraum, während die purbas in Richtung der hinteren Mauer verschwanden.
    Winslow schien zu schlafen, aber Lokesh war hellwach. Er hielt wie ein alter Onkel, der wieder mit seiner Familie vereint war, liebevoll Nymas Hand und studierte mit ihr gemeinsam eines der uralten Manuskripte. Mit seinem schiefen Lächeln blickte er zu Shan auf, woraufhin dieser sofort einen Finger an die Lippen hob, weil er fürchtete, der alte Mann würde begeistert aufschreien.
    Die beiden Neuankömmlinge setzten sich, und Shan erklärte leise, daß Khodrak und seine Männer jeden Moment das Fehlen der Gefangenen entdecken mußten. Sobald die Kriecher mit der Durchsuchung der Anlage begannen, würde jemand sie auf einen seltsamen Anblick hinweisen: vier Männer in Armeeuniformen, die soeben einen Mann in kastanienbrauner Robe den Hang oberhalb des Klosters hinaufhetzten.
    Tuan und Khodrak konnten kaum etwas unternehmen, ohne sich vor den Funktionären aus Lhasa in Verlegenheit zu bringen. Selbst wenn der Direktor und seine Weißhemden die Verfolgung aufnahmen, würden sie auf der anderen Seite des Berges nichts mehr vorfinden, weil dort bereits Pferde auf die verkleideten purbas warteten, um sie schnell außer Sicht zu bringen. Einen Großalarm auslösen konnte er auch nicht, denn immerhin befand Tenzin sich vermeintlich wieder dort, wohin er gehörte: im Gewahrsam der Armee.
    Wenn Khodrak und Tuan dann völlig verwirrt waren, würde Lhandro verkünden, die Bevölkerung der Region wolle dem gompa und dessen wichtigen Besuchern nun durch eine eigene Feier ihre Hochachtung bezeugen. Danach würde das lange verschobene Frühlingsfest der Tibeter beginnen.
    Eine Pfeife schrillte, und gleich darauf hörte Shan draußen schwere Stiefel. Er lehnte sich gegen die alte Wand zurück. Früher hatten sich hier drinnen die Mönche vor den mongolischen Invasoren versteckt und ihre wertvollsten thangkas und Schriften mitgebracht, rief er sich ins Gedächtnis. Der Gedanke an die peche , die noch immer in dem Regal lagen, in dem man sie vermutlich vor fünfzig Jahren versteckt hatte, erschien ihm irgendwie tröstlich. Es war weiterhin möglich, Schätze zu verbergen und diejenigen, die sie an sich reißen wollten, durch die eigene Arroganz zu Fall zu bringen.
    Vor seinem inneren Auge sah Shan den festlichen Umzug, den Lhandro ihm beschrieben hatte. Zunächst würden geschmückte Yaks kommen, alle Yaks des Lagers, deren Verschönerung die dropkas letzte Nacht abgeschlossen hatten. An ihrer Spitze sollte mit roten Schleifen und geflochtenem Fell Jampa marschieren, geführt von Gyalo unter einer Festmaske, dem Mönch, den Khodrak zum Verräter an Buddha erklärt hatte. Es folgten dropkas in ihrer traditionellen, teils seit Generationen weitergegebenen Feiertagstracht, manche mit Handtrommeln und damyen , den althergebrachten Saiteninstrumenten der Changtang. Dann würden sich Tänzer einreihen, die kunstvolle Kostüme der cham-T'änze trugen, mit denen wichtige historische oder symbolische Ereignisse veranschaulicht wurden. Schließlich durften die Kinder ihre Lieblingsschafe und hunde in der Prozession mitführen. Alles würde

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