Das Tibetprojekt
zeigte sich ernste Besorgnis.
Decker fuhr fort: »Er sollte den Tempel des Schreckens für Sie finden. Und er hat es geschafft. Dafür musste er sterben.«
»Gott stehe uns bei!« Der Kardinal hob seinen Kopf und bekreuzigte sich. »Sie dürfen ihr Ziel nicht erreichen.«
»Wer darf sein Ziel nicht erreichen?«
»Das kann ich Ihnen nicht sagen.«
»Brauchen Sie auch nicht. Wir wissen es.«
»Sie bluffen. Es gibt nur einen Mann in China, der das Geheimnis kennt. Und weder Sie, Herr Dr. Decker, noch – mit Verlaub – eine reizende junge Frau wie Miss Li haben Zugang zu solchen Informationen. Selbst wenn ich wollte,
Sie dürften es gar nicht erfahren.«
»Ganz genau«, sagte Li Mai. »Dieser eine Mann in China ist der Präsident.« Sie machte eine Pause, um ihren Worten mehr Wirkung
zu verleihen. »Und der Präsident ist mein Vater. Er hat mich ins Vertrauen gezogen und mit dieser Mission betraut.«
Decker riss den Kopf herum.
»So. Und jetzt wissen Sie auch«, erklärte Li Mai weiter, »warum der Papst zugestimmt hat. Ich kann Ihnen versichern, dass
wir beide auf gleicher Geheimhaltungsstufe stehen, Euer Eminenz. Sie können weiterreden. Es würde mich freuen, wenn wir nun
endlich offen zueinander sein könnten.«
Der Kardinal wog die Lage ab, während Decker völlig verstummt war. Damit hatte er nicht gerechnet.
»Ich weiß auch, dass es ums ›Dritte Reich‹ geht«, sagte Li Mai. »Und um die Verbindung Berlin – Lhasa. Ich weiß von Himmlers Geheimauftrag für die Tibet-Expedition, |329| und ich weiß auch, dass es Verbindungen zwischen den Exil-Nazis in Argentinien und den Vorgängern meines Vaters gibt. Reicht
Ihnen das als Beweis?«
Der Kardinal presste die Lippen zusammen und nickte.
»Dann wäre das ja geklärt«, sagte Li Mai, »und ich würde jetzt gerne wissen, warum Sie den Professor nach Tibet geschickt
haben. In den sicheren Tod.«
Giallo sah betroffen auf den Boden. »Professor Weinberg war nicht unser Mann. Und er kannte die Gefahr. Wir haben den Auftrag
an jemanden weitergereicht, der sich in der Bekämpfung solcher Sachen besser auskennt.«
»An wen?«
Der Kardinal wusste nicht mehr, wo er hinschauen sollte. In seiner ausweglosen Lage gestand er, worauf Li Mai niemals gekommen
wäre: »An den Mossad.«
»Wie bitte? Sie haben den israelischen Geheimdienst mit der Aufgabe betraut?« Jetzt war Li Mai diejenige, die ratlos war.
»Ja. Die vermuten schon seit langem eine Verschwörung und hatten sich an uns gewandt. Wir konnten ihnen die theologischen
und historischen Hintergründe liefern, die sie brauchten, um das Ziel zu finden. Und das hat der Professor offenbar auch geschafft.
Sonst wäre er jetzt nicht tot.«
Decker stieß einen Pfiff aus. Bingo.
»Warum haben Sie das getan? Was war Ihr Interesse an der Sache?«
»Das Böse muss vernichtet werden.«
Je länger Decker nachdachte, desto mehr fielen verschiedene Puzzleteile an ihren Platz. Der Vatikan lenkte ja nicht zum ersten
Mal aus dem Hintergrund die Geschicke der Welt.
|330| »Aber Euer Eminenz! Das Dritte Reich ist tot. Es leben doch höchstens noch ein paar Fanatiker weiter. Welches Interesse verfolgt
der Vatikan wirklich?«, fragte Li Mai.
»Was wollen Sie? Sind Ihnen die Nazis nicht schlimm genug?«
»Sie nehmen die Nazis als Vorwand«, fuhr Decker dazwischen. »Sie haben den Israelis nur die halbe Wahrheit gesagt. Ihr Kampf
richtet sich in Wirklichkeit nicht gegen die Nazis – sondern gegen den tibetischen Buddhismus.«
»Unsinn! Das erfinden Sie nur, um mich zu ärgern«, sagte der Kardinal.
»Keineswegs. In Tibet sieht man das anders. Denn der Professor wurde nicht von einem Nazi, sondern von einem Buddhisten getötet.«
»Das kann gar nicht sein«, wehrte der Kardinal ab. »Wie Sie vielleicht wissen, dürfen und können Buddhisten doch gar nicht
töten.«
»Euer Eminenz, Sie sollten doch inzwischen verstanden haben, dass Sie uns nicht für dumm verkaufen können. Wir wissen über
die brutale Geschichte des tibetischen Buddhismus Bescheid. Wir wissen, was das für eine Religion ist. In Tibet sind die alten,
grausamen Götter des Bön unterwegs. Das wissen Sie, und deshalb suchen Sie nach dem Tempel des Schreckens. Genauso wie wir.«
Bei diesen Worten zuckte Giallo zusammen. »Jesus Christus, was hast Du uns angetan? Sprechen Sie dieses Wort nicht in meiner
Gegenwart aus!«
»Sie kennen den Tempel des Schreckens und seine Funktion. Und Sie wissen, wo er sich befindet.
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