Das Todeswrack
metallisch harte Stimme meldete sich.
»Guten Morgen«, sagte Austin. »Hier ist dein Lieblingssohn.«
»Wird auch langsam Zeit, dass du anrufst.«
»Ich habe gestern erst mit dir gesprochen, Paps.«
»Innerhalb von vierundzwanzig Stunden kann eine Menge passieren«, erwiderte Austins Vater mit gutmütiger Bärbeißigkeit.
»Ach ja? Was denn, zum Beispiel?«
»Zum Beispiel ein Vertrag über mehrere Millionen Dollar mit den Chinesen. Nicht schlecht für einen alten Opa.« Austin hatte von seinem Vater sowohl die kräftige Statur als auch die Halsstarrigkeit geerbt. Der Senior war inzwischen Mitte siebzig, und seine breiten Schultern waren ein wenig gebeugt, aber sein regelmäßiges Arbeitspensum hätte manch jüngeren Mann umgehauen. Seine in Seattle beheimatete Bergungsfirma hatte ihn reich gemacht. Dennoch mühte er sich noch immer verbissen ab, vor allem seit dem Tod von Austins Mutter vor ein paar Jahren. Wie bei so vielen anderen Selfmademen lag auch für ihn die wirkliche Herausforderung in der Arbeit, nicht im Geld begründet.
»Glückwunsch, Paps. Irgendwie bin ich gar nicht überrascht.
Und du bist wohl kaum ein alter Opa, und das weißt du auch.«
»Verschwende deine Zeit nicht damit, mir Honig ums Maul zu schmieren. Groß daherreden kann jeder. Wann kommst du vorbei, damit wir die Sache mit einer Flasche Jack Daniel’s begießen können?«
Das hat mir gerade noch gefehlt, dachte Austin. Ein Abend in Begleitung seines trinkfesten Vaters würde ihn zurück ins Krankenhaus bringen. »Vorerst nicht. Ich fange wieder an zu arbeiten.«
»Wird auch Zeit. Du hast dich lange genug davor gedrückt.«
Er klang enttäuscht.
»Du hast bestimmt mit dem Admiral gesprochen. Er hat fast das Gleiche gesagt.«
»Nein, ich habe Besseres zu tun.« Das war nur halb scherzhaft gemeint. Austins Vater hatte großen Respekt vor Sandecker.
Zugleich aber sah er in ihm einen Rivalen um die Gunst seines Sohnes und hatte niemals die Hoffnung aufgegeben, dass Kurt eines Tages zur Besinnung kommen und den Familienbetrieb übernehmen würde.
Manchmal glaubte Austin, dass es genau diese Hoffnung war, die seinem Vater Kraft verlieh.
»Lass mich erst mal herausfinden, was er will. Ich melde mich wieder bei dir.«
Ein tiefes Seufzen. »Okay, tu, was du nicht lassen kannst. Ich muss jetzt aufhören. Auf der anderen Leitung kommt ein Anruf herein.« Die Verbindung wurde unterbrochen. Austin musterte den Hörer in seiner Hand und schüttelte den Kopf. Wenn seine Fantasie mit ihm durchging, stellte er sich bisweilen vor, was wohl passieren würde, falls sein massiger Vater und der schmächtig wirkende, aber überaus zähe Sandecker einmal aneinander gerieten. Er würde auf den Ausgang der Sache keine Wette abschließen wollen, aber eines wusste er genau: Er wollte nicht in der Nähe sein, falls das geschah.
Die Coltrane-CD klang aus. Austin legte eine Platte von Gerry Mulligan auf und lehnte sich lächelnd im Sessel zurück. Ihm standen eventuell mehrere Wochen ohne Freizeit bevor, also wollte er die letzten Stunden richtig genießen. Er war froh, dass Sandecker angerufen hatte und sein Urlaub nun enden würde.
Der Grund für diese Freude hatte nur wenig mit seiner Langeweile zu tun. Der Admiral war nicht der Einzige, der ergründen wollte, was hinter »dieser Angelegenheit in Marokko« steckte, wie er es genannt hatte.
14.
Hiram Yaeger lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, verschränkte die Hände im Nacken und starrte durch das Drahtgestell seiner Nickelbrille auf den riesigen Monitor hinter dem hufeisenförmigen Schaltpult. Das Schwarzweißfoto der drallen Frau aus Sumatra wirkte als dreidimensionales holographisches Abbild noch weitaus lebensechter. Er fragte sich, wie viele Millionen Jungen ihre erste Lektion in weiblicher Anatomie wohl den dunkelhäutigen Mädchen auf den Seiten des
National Geographie
verdankten.
Yaeger seufzte in einem Anflug träumerischer Nostalgie.»Danke für diese Augenweide, Max«, sagte er dann.
»Gern geschehen«, erwiderte die geisterhafte weibliche Stimme des Computers. »Ich dachte, eine kleine Ablenkung von Ihrer Arbeit würde Ihnen gefallen.« Das hübsche Mädchen verschwand und reiste zurück ins Jahr 1937, als ein Fotograf des
Geographie
sie für die Nachwelt im Bild festgehalten hatte.
»Das weckt schöne Erinnerungen«, sagte Yaeger und nippte an seinem Kaffee.
Der Chef des Kommunikationsnetzwerks der Behörde saß in einem kleinen Nebenraum an seinem privaten Terminal. Von hier
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