Das Turmzimmer
entspannen , nennt sie ihr Klavierspiel, und auf die Dauer ist die Wirkung auch einschläfernd, doch an diesem Abend war meine Müdigkeit trotz allem wie weggeblasen.
Denn jetzt, wo ich alleine war, sah die Küche plötzlich ganz anders aus. Noch immer blau, doch so dunkel, dass man in den Ecken Verstecken spielen konnte. Das war nicht gerade ein Spiel, das mir fremd war, um ehrlich zu sein, doch zog ich es vor zu wissen, mit wem ich spielte. Auf der Fensterbank sah ich einen kleinen, wie eine Muschel geformten Kerzenleuchter mit einer halbwegs heruntergebrannten Kerze in der Mitte. Schnell zündete ich ein Streichholz an und wartete, bis die Flamme ruhiger geworden war als ich. Ich hätte den einfachsten Weg wählen können, nämlich die Treppe hoch zu Nella und die Tür ins Vorzimmer hinaus. Doch stattdessen beschloss ich, eine Bestandsaufnahme des Gebäudes zu machen, in dem ich mich befand. Vor mir lag der Park, links die besagte Treppe zum Büro und zum Spielzimmer und rechts die Bibliothek, die in Antonias Arbeitszimmer hinaufführte. Hinter mir waren das Esszimmer, das Teezimmer, das Vorzimmer und die Halle. Mein Blick ruhte auf einer Treppe, die der glich, die wir heruntergekommen waren. Nur am entgegengesetzten Ende der Küche.
Zuerst glaubte ich, sie würde in die Bibliothek hinaufführen, doch als ich die Tür an ihrem Ende aufmachte, sah ich, dass ich mich geirrt hatte. Das Zimmer schien zurückzuweichen, als ich den Leuchter hochhielt, um einen Lichtschalter zu finden, und etwas ließ mich zögern. In der Ecke stand ein Mensch, eine Frau, daran bestand kein Zweifel. Sie trug ein weißes Kleid, das in der Taille gebunden war, und um den Hals hatte sie eine dieser langen Perlenketten, die Königin Alexandrine vor einigen Jahren in Mode gebracht hatte.
»Wer sind Sie?«
Ich versuchte, den Leuchter ein wenig höher zu halten, doch das Gesicht der Frau lag im Dunkeln.
»Wer sind Sie, gnädige Frau?«
Ich sprach so laut, dass selbst Nella mich hören musste. Obwohl auch ihr Klavierspiel lauter geworden war. Doch die Frau antwortete weiterhin nicht. Sie bewegte sich auch nicht. Ich fand den Schalter und drückte ihn herunter.
Ich will nicht sagen, dass mir anschließend alles klar war, doch ich sah zumindest, dass die Frau in Weiß eine alberne Schneiderbüste war. Auch auf der gegenüberliegenden Seite des Fensters stand eine, sie trug ein hochgeschlossenes schwarzes Trauerkleid. Offenbar diente das Zimmer als Ankleidezimmer, denn um mich herum gab es mehrere Kleiderschränke, einen Toilettentisch mit allem möglichen Kram und einen Kippspiegel, sodass man sich aus allen Winkeln betrachten konnte. Mein Anzug sah besser aus als ich.
»Was in aller Welt soll Nella mit dir?«, fuhr ich mich an. »Du führst dich auf wie ein Kind, das man nicht in die Stadt mitnehmen kann. Für was hältst du dich eigentlich?«
Ich sagte noch eine Menge anderer Dinge, die nicht unbedingt schriftlich wiedergegeben werden müssen, doch plötzlich versickerten meine Worte, mitten in einer äußerst komplizierten Bestandsaufnahme, wie beschissen es um mich stand und wie deutlich mein Verhalten das bewies. Denn plötzlich beschlich mich das Gefühl, beobachtet zu werden, und ich drehte mich um. Ich kniff die Augen zusammen. Zuerst sah ich nichts von Bedeutung, dann fiel mein Blick auf die am weitesten entfernte Wand. Jemand starrte mich von dort aus an. Daran bestand kein Zweifel.
»Was geht hier drinnen eigentlich vor?«
Ich war eher wütend als ängstlich. Mein Sehvermögen ist bekanntlich nicht mehr das, was es einmal war, doch ich hatte tatsächlich den Eindruck, dass sich der Mund der Person dort drüben bewegte.
»Was sagen Sie?«
Der Mund bewegte sich ganz sicher, und ich trat einen Schritt näher.
»Können Sie nicht etwas lauter reden?«
Im nächsten Augenblick starrten mich meine eigenen blauen Augen an, und der Spiegel an der Wand lachte. Ich hatte schon lange die Nase voll von diesem Raum. Ja, und von diesem Ort. Doch es war in jeder Hinsicht zu früh. Deshalb schritt ich entschlossen durch die dunklen Zimmer, nickte den Erbstücken zu, als wären sie alte Bekannte, und griff nach unseren Koffern, die im Gang standen und schlummerten. In Wirklichkeit war es äußerst einfach, erinnerte ich mich. Nella sollte ruhig ihre Ruhe haben, während ich die Dinge ordnete. Dann waren wir schnell wieder in Kopenhagen, und das mit weit mehr Geld als zuvor.
Die breite Treppe ächzte bei jedem Schritt, und am Ende boten
Weitere Kostenlose Bücher