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Das Turnier

Das Turnier

Titel: Das Turnier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anu Stohner
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darauf wussten sie, wo ihr Meister war: genau unter dem Riesenmenschenhaufen, den es gab, als sie alle übereinanderpurzelten.
    Da lag er auch noch, als sie sich alle wieder aufgerappelt hatten: der Weiße Ritter, ihr Meister, in voller Rüstung und mit geschlossenem Visier. Er lag auf dem Rücken und rührte sich nicht. Aber keiner durfte ihn anfassen. Der Herold baute sich vor ihm auf und schickte die anderen weg. Dann beugte er sich über ihn und schaute über die Schulter zu uns. Es sah aus, als wollte er sichergehen, dass wir nicht sahen, was er machte. Wir konnten auch nichts sehen, weil er uns mit seinem breiten Rücken den Blick versperrte. Aber als er sich wieder nach vorne wandte, konnte ich unter seinen Armen durch gerade so den Kopf des Weißen Ritters sehen. Das heißt, seinen Helm.
    Jetzt machte sich der Herold an dem Visier zu schaffen.
    Er klappte es vorsichtig hoch.
    Ich sah buschige Augenbrauen und eine spitze Nase.
    Und genau da ging die blöde Fackel aus.

Das zweiundzwanzigste Kapitel, in dem Tim ein Reptil in Heroldgestalt überlistet
    (Aber ganz schön knapp!)
    Ich lauschte in die pechkohlrabenschwarze Nacht und hörte ein leises Scharren. Es klang, als würde etwas über den Boden geschleift. Dann schepperte es leise, und jemand zischte: »Passt doch auf, Holzköpfe!« Es war die Stimme des Herolds. Sie schafften den Weißen Ritter vom Eingang weg, aber Licht machten sie dafür nicht. Und wieder hörte man die Stimme: »Weg da, setzt euch auf euren Platz!«
    »Was denkst du, was da vor sich geht?«, flüsterte ich in Roberts Richtung.
    »Sie bringen ihn weit genug weg, dass wir sein Gesicht nicht sehen können, wenn sie das Visier hochklappen«, flüsterte Robert zurück.
    »Der Herold hat sich gerade aufgeführt, als sollte es außer ihm auch sonst niemand sehen.«
    »Stimmt. Vielleicht ist er der Einzige, der das Geheimnis des Weißen Ritters kennt.«
    »Kann sein …«
    Jetzt flammte am anderen Ende des riesigen Zelts eine neue Fackel auf. Der Herold hielt sie inder Hand und ging vor etwas in die Knie, das lang und im Fackelschein funkelnd auf der Erde lag. Der Weiße Ritter. Es ging ihm wohl immer noch nicht gut.
    Dann machte sich der Herold am Helm des Weißen Ritters zu schaffen, aber er ließ sich nicht dabei helfen. Die anderen Weißen saßen in respektvoller Entfernung, ein dunkler Haufen Schattengestalten im schummrigen Flackerlicht. Wahrscheinlich hatte Robert recht: Sie kannten das Geheimnis des Weißen Ritters nicht, und der Herold sorgte dafür, dass es so blieb.
    Und wenn der Weiße Ritter jetzt … Wenn er tot war, was dann? Würde der Herold dann dafür sorgen, dass der unheimliche Ritter sein Geheimnis mit ins Grab nahm? Und wenn ja …?
    Ich wollte nicht weiterdenken, aber ich musste es. Es war wie ein Zwang: Wenn der Herold dafür sorgte, dass der Weiße Ritter sein Geheimnis mit ins Grab nahm, durfte es außer ihm keine Mitwisser geben. Die anderen Weißen wussten anscheinend nichts. Aber was, wenn der Herold glaubte, wir wüssten was? Ich zum Beispiel wusste was, seit er das Visier des Weißen Ritters aufgeklappt hatte. Ich wusste, dass der Fiesling buschige Augenbrauen und eine spitze Nase hatte. Daswar nicht viel, aber vielleicht glaubte der Herold, ich hätte mehr gesehen. Oder Robert. Oder Kuno. Oder die Zwillinge. Oder …
    Ich spürte meine gefesselten Hände schweißnass werden. Schweißperlen rollten mir übers Gesicht und in den Nacken. In dem Zelt war es brütend heiß, und trotzdem fühlte sich der Schweiß eiskalt an. Ich schloss die Augen und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Ganz ruhig, Tim!, sagte ich mir. Vielleicht hat er ja gar nicht mitgekriegt, dass du was gesehen hast.
    Ich musste es mir ein paarmal sagen, bis ich mich ein bisschen beruhigt hatte. Ich atmete tief und langsam. Das sagt meine Mutter immer, seit sie Yoga macht: dass man tief und langsam atmen soll, wenn man den Zappel hat und davon wieder runterkommen will. Ich atmete tief und langsam, dann machte ich vorsichtig die Augen auf.
    Ich hatte ihn nicht kommen hören, aber der Herold stand genau über mir und leuchtete mir mit der Fackel ins Gesicht. Er sagte nichts. Er starrte mich nur an, als könnte er nur mit den Augen herausf inden, was ich wusste. Ich blinzelte ins Flackerlicht, als wäre ich gerade aus einem langen, tiefen Schlaf erwacht, aber große Hoffnungen, dass er mir das abkaufte, machte ich mirnicht. Und soll ich euch was sagen: Ich werde nie erfahren, ob er’s mir

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