Das Ultimatum
darüber berichten. Brauchst du noch irgendetwas?«
»Im Moment nicht.«
»Gut, ruf an, wenn sich etwas Neues ergibt.«
»Mach ich«, sagte McMahon und beendete das Gespräch. Als er auf den Toten hinunterblickte, fiel ihm erneut die Präzision auf, mit der die Täter vorgegangen waren.
Liz Scarlatti und Michael O’Rourke saßen an einem Ecktisch eines neuen und noch relativ unbekannten italienischen Restaurants, das im Keller eines Hauses zwei Blocks vom Dupont Circle eingerichtet war. Die einzige Beleuchtung im Raum stammte von je einer Kerze auf jedem Tisch, die in einer alten Chiantiflasche steckte. O’Rourke schaute sich um und dachte sich, dass er sich hier unter etwas anderen Umständen durchaus wohl fühlen könnte. Seine Mostaccioli schmeckten gut, und der Wein war ebenfalls nicht übel.
Michael hatte Liz erzählt, dass Coleman nicht für den Tod von Senator Olson und der vier Secret-Service-Leute verantwortlich war, doch er hatte tunlichst verschwiegen, dass Seamus in die ersten vier Morde verwickelt war. Er wollte lieber nicht daran denken, wie sie reagieren würde, wenn sie wüsste, dass der Großvater ihres zukünftigen Ehemannes ein Anarchist oder Revolutionär war, oder wie immer man es bezeichnen wollte.
Liz versuchte schon zum dritten Mal innerhalb von vierundzwanzig Stunden, Michael zu überzeugen, dass er zum FBI gehen solle. »Michael, ich weiß, dass sein Bruder dein bester Freund war, aber der Mann hat vier Menschen auf dem Gewissen – den Sprecher des Repräsentantenhauses, zwei Senatoren und den Vorsitzenden des Bewilligungsausschusses im Repräsentantenhaus.«
»Nicht so laut, wir sind nicht allein hier.«
Liz beugte sich über den Tisch. »Du musst es einfach melden – auch wenn er mit Eriks Tod nichts zu tun hat.«
»Zum letzten Mal, Liz, das werde ich nicht tun.«
»Ich verstehe dich einfach nicht.«
Michael sah sie eine ganze Weile an, ehe er antwortete: »Ich erwarte auch gar nicht von dir, dass du verstehst, warum ich so handeln muss.«
»Was willst du damit sagen?«, fragte Liz mit schneidender Stimme.
»Du hast ja auch keinen Grund zu der Einschätzung, dass diese Männer den Tod verdient haben. Du hast immer ein angenehmes, behütetes Leben gehabt.« Liz sah ihn vorwurfsvoll an, und Michael fügte hinzu: »Ich will damit nicht sagen, dass du nicht hart gearbeitet hast. Ich sage nur, dass dein Leben recht angenehm verlaufen ist. Deine Eltern leben noch, genauso dein Bruder und deine Schwester. Dir ist absolut nichts widerfahren, was dich dazu bewegen könnte, unsere politische Elite mit sehr kritischen Augen zu sehen.«
»Also, nur weil ich niemanden, der mir nahe steht, verloren habe« – Liz verschränkte die Arme vor der Brust – »soll ich nicht in der Lage sein, unsere Politiker zu beurteilen?«
»Ich habe nicht gesagt, dass du nicht reif wärst, sie zu beurteilen. Ich versuche dir nur zu erklären, dass du wahrscheinlich gar nicht verstehen kannst, warum ich so denke, wie ich denke.«
»Oh, ich kann das sehr wohl verstehen. Der Tod deiner Eltern und von Mark ist eine furchtbare Sache, aber ich glaube nicht, dass diese Morde irgendetwas ändern werden. Du musst die Vergangenheit loslassen und nach vorne schauen.«
Michael beherrschte seinen Ärger, seine Stimme wurde aber trotzdem etwas lauter. »Liz, man kann leicht sagen, dass man etwas versteht, wenn man es nicht selbst erlebt hat, und noch leichter ist es, jemandem zu sagen, dass er etwas hinter sich lassen soll, wenn man so etwas nie selber durchgemacht hat. Ich glaube, dass man etwas erst dann richtig versteht, wenn man es selbst erlebt hat.«
»Na und? Soll ich jetzt hoffen, dass ich meine Eltern bald verliere, damit ich so richtig nachfühlen kann, wie es dir gegangen ist?«
»Nein, Liebling«, erwiderte er und griff nach ihrer Hand. »Ich hoffe, dass dir ein solcher Schmerz erspart bleibt. Als meine Eltern starben, wurde meinen Geschwistern etwas unendlich Wertvolles genommen – nämlich all die Augenblicke, die andere Kinder im Laufe ihrer Jugend mit ihren Eltern erleben. Wenn sie bei irgendeinem Spiel in der Schule mitgemacht haben, waren ihre Eltern nicht unter den Zuschauern, um sie anzufeuern. Und wenn sie aus der Umkleidekabine kamen, waren da alle anderen Eltern, um ihre Kinder zu umarmen und sich mit ihnen zu freuen, aber auf meine Geschwister hat niemand gewartet. Wenn sie nach der Schule nach Hause kamen, hatten sie keine Mutter und keinen Vater, die ihnen bei den Hausaufgaben
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