Das Ultimatum
von einem entgegenkommenden Auto gerammt, dessen Fahrer zu betrunken war, um auf seiner Seite der gelben Linie bleiben zu können. Michaels Schwester Katie und seine Brüder Tommy und Seamus überlebten den Unfall, ihre Eltern jedoch nicht. Die liebevollen Eltern von fünf Kindern waren tot – getötet von einem vierunddreißigjährigen Mann, der schon sechsmal wegen Trunkenheit am Steuer verurteilt worden war.
Der Tod seiner Eltern erschütterte O’Rourkes Leben zutiefst. Nachdem er sein Studium beendet hatte, trat er, so wie sein Vater und sein Großvater, ins Marine Corps ein. Nach seiner Rückkehr aus dem Golfkrieg zertrümmerte er sich das Knie bei einem nächtlichen Übungssprung aus geringer Höhe. Einige Leinen an seinem Hauptfallschirm hatten sich verwickelt, und nachdem er keine Zeit mehr hatte, den Rettungsschirm zu öffnen, prallte er mit doppelt so hoher Geschwindigkeit wie normal auf den Boden. Das Knie, das er sich schon während der Studienzeit verletzt hatte, wurde durch den Aufprall zusammengedrückt wie eine Aluminiumdose. Der junge Lieutenant musste sich einigen komplizierten Operationen unterziehen, und seine Laufbahn bei den Marines war damit definitiv zu Ende. O’Rourke trat daraufhin in den Mitarbeiterstab von Senator Olson in Washington ein. Erik Olson war ein enger Freund von Michaels verstorbenen Eltern. Michael kam voller Idealismus nach Washington und betrachtete den neuen Job als eine Möglichkeit, etwas Sinnvolles zu leisten. In den folgenden fünf Jahren entwickelte sich Michael zu einem der besten Mitarbeiter des Senators. Er arbeitete fleißig und bemühte sich, nicht in die für Washington so typische Apathie zu verfallen – doch mit der Zeit konnte er die unaufrichtige Art und Weise, wie hier Politik gemacht wurde, immer weniger ertragen. Er bekam zunehmend das Gefühl, dass Leute mit Ehrgefühl und Integrität in diesem System zwangsläufig scheitern mussten.
Als Michael schon drauf und dran war, alles hinzuschmeißen und nach Minnesota zurückzukehren, wurde der Abgeordnetensitz für seinen Wahlbezirk frei. Senator Olson ermunterte ihn zu kandidieren; er wies Michael darauf hin, dass das seine Chance sei, das System, das ihm so zuwider war, zu verändern. Michael stellte sich der Herausforderung, und mit der Unterstützung seines Großvaters und des Senators gewann er den Sitz mit Leichtigkeit.
Kurz bevor Michael in diesem Winter seinen Abgeordnetensitz übernahm, musste er den nächsten schweren Schicksalsschlag hinnehmen. Der Tod eines weiteren Menschen, der ihm sehr nahe stand, machte es ihm unmöglich, sich über seinen Erfolg bei der Wahl zu freuen. Er wurde zwar Abgeordneter im Repräsentantenhaus, doch für ihn war es mehr wie eine Gefängnisstrafe, die er in einer Stadt verbüßen musste, die er mit jedem Tag mehr hasste.
Das Telefon klingelte, und Susan stand auf, um abzuheben. Nach wenigen Augenblicken wandte sie sich der Gruppe zu. »Michael, Ihr Großvater möchte Sie sprechen.«
»Ich übernehme in meinem Büro«, antwortete Michael und ging in sein Arbeitszimmer hinüber. »Hallo, Seamus.«
Seamus O’Rourke war Präsident und alleiniger Eigentümer der O’Rourke Timber Company. Seamus’ Vater hatte die Firma im Jahr 1918 mit einem kleinen Holzlager gegründet. Als Seamus aus dem Zweiten Weltkrieg heimkam, übernahm er die Firma und entwickelte sie zu einem der größten Holzunternehmen im Mittelwesten.
Seamus rief vom Haus der O’Rourkes in Grand Rapids an. Das Haus lag am Lake Pokegama, einem wunderschönen, etwa fünfzehn Kilometer langen See. Es war ein prächtiges modernes Holzhaus, von dem man die größte Bucht des Sees überblickte. Der zweiundsiebzigjährige Großvater stand mit dem Telefonhörer in der Hand auf der Terrasse und genoss die wunderbare Aussicht auf den kobaltblauen See und die bunten Herbstfarben ringsum. »Alles in Ordnung, Michael?«
»Ja, alles bestens.«
Seamus lehnte sich an das Geländer der Terrasse. Grandpa O’Rourke sah keinen Tag älter aus als sechzig. Er wanderte jeden Tag fünf Kilometer mit seinen Hunden durch die Gegend. Die frühmorgendlichen Spaziergänge waren jedoch nicht das Einzige, was ihn fit hielt. Durch den plötzlichen Tod seines Sohnes und seiner Schwiegertochter vor zehn Jahren war er de facto zum Vater eines zwölfjährigen Mädchens, zweier sechzehnjähriger Zwillinge sowie von Michael und Tim geworden, die damals schon die Universität besuchten.
Seamus nahm einen Schluck von seinem Kaffee und
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