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Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat: Roman (German Edition)

Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat: Roman (German Edition)

Titel: Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gavin Extence
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meint, er werde im Allgemeinen missverstanden. Sie meint, es gebe eine gewisse Balance in der kosmischen Ordnung, und Schöpfung und Zerstörung seien zwei Seiten ein und derselben Medaille.«
    »Ich will ehrlich sein, Junge: Diese Lebensphilosophie deiner Mutter ist reine Hirnwichserei. Ich glaube nicht, dass ich viel Zeit damit verschwenden will, die Sache zu begreifen.«
    Mir war mittlerweile klar, dass Mr. Peterson seine Zunge nur selten im Zaum hielt.
    »Sie meint auch, dass es manchmal okay ist, ein Rebell zu sein«, sagte ich. »Sie findet nicht, dass Gott ein so toller Boss ist, jedenfalls wenn man sich ansieht, wie er in der Bibel dargestellt wird. Sie meint, wenn sie ein Engel gewesen wäre, hätte sie vermutlich auch gekündigt.«
    »Lieber in der Hölle regieren als im Himmel dienen.«
    »Ja«, sagte ich, »das trifft es in der Tat sehr gut, obwohl meine Mutter auch mit dem Regieren so ihre Schwierigkeiten hat. Sie kann Hierarchien nicht leiden – außer in unserer Familie, da ist sowieso alles anders. Aber egal, Lucy ist nicht böse. Sie ist bloß eine Katze. Und wenn sie jemand angreifen würde, also hypothetisch gesprochen, dann würde ich dazwischengehen. Ich glaube, es ist in Ordnung zu kämpfen, wenn man jemanden verteidigt, der in Gefahr ist und sich nicht selbst helfen kann, finden Sie nicht auch?«
    »Für jede Regel gibt es eine Ausnahme.«
    »Also würden Sie auch aufhören, ein Pazifist zu sein, wenn es keine andere Möglichkeit mehr gäbe?«
    Mr. Peterson knetete seine Augenbrauen. »Hör zu, Junge, Moral ist nicht schwarz oder weiß. Es gibt einige sehr große graue Flächen. Ich glaube, dass deine Mutter mir da zustimmen würde.«
    »Ich verstehe«, sagte ich.
    Ich muss mich schuldig bekennen: Es ist durchaus möglich, dass ich hier mehrere Gespräche zu einem einzigen zusammenmische. Es ist nicht leicht, sich zu erinnern, wer was wann gesagt hat. Aber das ist auch nicht so wichtig. Das Wichtige ist, dass im Laufe dieses Tages entgegen allen Erwartungen meine Buße aufhörte, eine Buße zu sein. Obwohl er total verrückt war, ergaben die Gespräche mit Mr. Peterson wesentlich mehr Sinn als die Gespräche mit meiner Mutter.
    Später, als wir mit dem Briefeschreiben fertig waren und Mr. Peterson draußen seine Kräuterzigarette rauchte, durchforstete ich das Archiv aus Briefen auf seinem Computer. Dieses Archiv war sehr umfangreich. Ich schnüffelte nicht herum; Mr. Peterson hatte mir gesagt, ich solle die Briefe, die wir geschrieben hatten, in diesem Ordner abspeichern, und ich dachte mir, wenn er nicht gewollt hätte, dass ich mich dort umschaute, hätte er mich die Briefe gar nicht oder woanders abspeichern lassen. Außerdem dachte ich, es sei vielleicht moralisch lehrreich.
    Ich schaute nach, wie viele Briefe es insgesamt gab. Es waren Hunderte, fein säuberlich sortiert in separate Ordner mit Monats- und Jahresangaben. Ich las eine Handvoll, die interessant klingende Dateinamen hatten. Dann schloss ich die Ordner und schaltete den Computer aus. Schließlich schaute ich mir noch die Unterseite der Maus an, was ich jedes Mal tat, wenn ich einen unbekannten Computer benutzte. Es war ein neues Modell mit einem roten Laserstrahl anstatt einer Rollkugel, war also auf keinen Fall von Robert Asquiths chinesischen Bauern hergestellt worden.
    Dann kreiselte ich ein bisschen auf dem Drehstuhl herum.
    Mitten in einer Drehung fiel mir ein Foto an der Wand neben einem der hohen Bücherregale auf. Es war das einzige Foto im Zimmer. Ich hielt es für durchaus möglich, dass es das einzige Foto im ganzen Haus war. Ich trat näher, um es mir genauer anzuschauen. Das war auch kein Herumschnüffeln. Ich war bloß neugierig.
    Das Foto zeigte eine Frau, die etwas jünger aussah als meine Mutter – höchstens dreißig Jahre alt. Ihr Haar war kurz geschnitten, und sie trug eine schwarze Baskenmütze. Sie hatte den Kopf leicht schräg gelegt und lächelte schelmisch in die Kamera.
    »Ist das Ihre Tochter?«, fragte ich höflich, als Mr. Peterson wieder hereinkam. Wenigstens dachte ich, es sei eine höfliche Frage. Aber es stellte sich heraus, dass es keine Frage war, die ich hätte stellen sollen. Ich merkte es gleich; die Atmosphäre im Raum veränderte sich spürbar.
    Ich sollte hier vielleicht erklären, dass ich die Aussage meiner Mutter, Mr. Peterson sei ganz allein, lediglich auf seine häusliche Situation und den nicht allzu weit zurückliegenden Tod seiner Frau bezogen hatte. Ich wusste nicht, dass er

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