Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat: Roman (German Edition)
Dinge in Schriftform erklärte, hatte man genug Zeit und Raum, um vorher darüber nachzudenken, und kann dann genau das aufschreiben, was man wirklich meint. Das war so viel besser, als in Echtzeit miteinander zu reden.
Ich wünschte, ich könnte immer schriftlich kommunizieren. Das, so dachte ich, würde mein Leben um einiges leichter machen.
Irgendwann endete mein Hausarrest, und gleich am folgenden Samstag ging ich ohne Voranmeldung zu Mr. Peterson. Ich traf ihn in der Einfahrt. Er wollte gerade mit Kurt einen »kurzen« Spaziergang machen – wobei »kurz« im Sinne der Entfernung zu verstehen war, nicht im zeitlichen Sinn. Angesichts von Kurts Alter und Mr. Petersons Bein waren all ihre Spaziergänge kurz, dauerten allerdings geraume Zeit. Aber es war Hochsommer, und der Tag war trocken und freundlich, und wie Sie wissen, war ich mittlerweile an einen einstündigen Marsch pro Tag gewöhnt. Ich hatte nichts dagegen mitzukommen, egal wie lange dieser kurze Spaziergang auch dauern würde.
Seit meinem Brief hatte ich einige Wochen Zeit gehabt, an einer vollständigen und angemessenen Entschuldigung zu arbeiten, die ich Mr. Peterson meiner Meinung nach immer noch schuldete. Aber nachdem ich meine Rede aufgeschrieben, umgeschrieben, auswendig gelernt und eingeübt hatte, kam ich nicht über den ersten (makellos formulierten) Satz hinaus. Aus irgendeinem Grund, den ich nicht begreifen konnte, schien Mr. Peterson zu glauben, dass er mehr Schuld an der Sache trug als ich, und um ehrlich zu sein, war mir das ziemlich peinlich. Ich fühlte mich gezwungen, ihn mindestens dreimal darauf hinzuweisen, dass diese seltene Erstausgabe von Frühstück für Helden mit einer Widmung der verstorbenen Mrs. Peterson vernichtet worden war, während sie sich in meiner Obhut befand – noch dazu als Resultat meines Handelns.
»Weißt du, was Mrs. Peterson dazu gesagt hätte?«, fragte mich Mr. Peterson.
Ich dachte darüber nach. »Ich denke mal, sie hätte gesagt, dass Sie mir das Buch überhaupt nicht hätten leihen dürfen – Sie wissen schon, das konnte ja nicht gut gehen.« Eigentlich war es das, was meine Mutter gesagt hätte, aber eine andere Vergleichsmöglichkeit hatte ich nicht.
Mr. Peterson verzog das Gesicht. Wie ich später erkannte, war dies eine Art Lächeln. »Nein, das hätte sie nicht gesagt. Das ist ungefähr das Letzte, was sie gesagt hätte. Sie hätte gesagt, dass ein Buch ein fantastisches Medium ist, um Gedanken und Ideen zu verbreiten, aber darüber hinaus besteht es lediglich aus zermanschten Bäumen. Sie hätte mir gesagt, dass ich mich wie ein Idiot benommen habe. Verstehst du, was ich damit sagen will?«
Ich musste ziemlich lange überlegen. »Ich bin mir nicht sicher«, sagte ich schließlich. »Ich glaube, Sie wollen mir damit sagen, dass Bücher selbst nicht wichtig sind, sondern nur die Ideen, die darin geschrieben stehen. Aber ich weiß, dass dieses Buch doch wichtig war, weil es ein Geschenk war und weil es nicht …«
»Ich will nicht behaupten, dass das Buch nicht wichtig war. Ich will damit nur sagen, dass es Dinge gibt, die wichtiger sind. Ich will damit sagen, dass all die Dinge, die wichtig waren an diesem Buch … na ja, die hatten mit dem Buch selbst nichts zu tun. Die sind alle hier« – und dabei tippte sich Mr. Peterson an den Kopf, kurz oberhalb der Schläfe – »und da werden sie auch bleiben. Verstehst du jetzt?«
»Ich denke schon«, sagte ich.
»Okay. Also bitte – keine Entschuldigungen mehr.«
»Okay.«
»Und so, wie du es mir erzählt hast, scheint es auch nicht wirklich deine Schuld gewesen zu sein. Ein paar von den Typen an deiner Schule sind wohl erstklassige Arschlöcher.«
»Ja«, sagte ich, »in dieser Disziplin könnten sie sogar Preise gewinnen.«
Dann erklärte ich Mr. Peterson die komplizierten Regeln und Normen, die das Verhalten und die Beziehungen auf dem Schulhof bestimmten – und dass von allen erwartet wurde, das Gleiche zu denken und zu tun, und wenn man sich nicht daran hielt, wurde man wie ein Aussätziger behandelt. Meine Mutter sagte mir immer, dass die Dinge mit der Zeit einfacher werden würden, dass die Menschen toleranter werden und all diese Probleme einem irgendwann einmal lächerlich vorkommen würden, aber Mr. Peterson meinte, das sei bloß die halbe Wahrheit.
»Deine Mom ist nicht unbedingt normal«, sagte er zu mir.
Dem konnte ich nicht widersprechen.
»Und für sie mag es einfach sein, aber für die meisten Leute ist es das nicht. Es
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