Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat: Roman (German Edition)
kleinen Gespräche gewiss vermissen, selbst wenn er es nicht offen zugab.
Er hatte zwar immer noch die ganze Korrespondenz für Amnesty International – und manchmal bekam er auf seine Briefe auch eine Antwort –, aber das war nicht dasselbe, wie von Angesicht zu Angesicht mit jemandem zu reden. Es war nicht dasselbe, wie Teil einer Gemeinschaft zu sein.
Bei mehreren Gelegenheiten hatte ich schon gedacht, wie schade es doch war, dass wir beide Atheisten waren. Ansonsten hätten wir in die Kirche gehen können, was ebenfalls Gelegenheit bot, unter Leute zu kommen. Dann wäre er auch sonntags regelmäßig vor die Tür gegangen, wenn der Laden und die Post – die einzigen anderen Treffpunkte in Lower Godley – geschlossen hatten. Natürlich wusste ich nicht ganz genau, was in einer Kirche passierte, aber ich hatte die Vorstellung, dass dort viel über Moral und den Zustand des Universums geredet wurde, was ich sehr anregend fand. Das Einzige, was mich abschreckte, war der Aspekt des Übernatürlichen – und natürlich die Tatsache, dass außer der Bibel kein anderes Buch gelesen wurde. Die Bibel war nicht gerade ein fesselndes Buch.
Ich dachte, wenn man diesen Punkt in den Griff bekommen könnte, hätte man eine Gemeinschaft gefunden, an der teilzuhaben sich lohnen würde. Und aus diesem Gedanken heraus wurde die Säkulare Kirche geboren.
Als ich die Idee Mr. Peterson gegenüber erwähnte, hatte ich sie schon eine Weile mit mir herumgetragen. Sie schien mir die Lösung für mehr als ein Problem zu sein.
Nach der Lektüre von Mann ohne Land vor ein paar Monaten, hatte ich den Wunsch verspürt, alle Kurt-Vonnegut-Bücher noch einmal zu lesen. Ich stellte mir vor, dass sie mir jetzt, beim zweiten Mal, noch mehr sagen würden, weil ich etwa zehn Prozent älter war als zu dem Zeitpunkt, als ich das erste zur Hand genommen hatte. Und ich dachte mir, dass ich das nicht unbedingt allein tun müsste.
Weitergehende Erkundigungen in der Bücherei von Glastonbury brachten ermutigende Resultate. Fiona Fitton, die leitende Bibliothekarin, meinte, eine Lesegruppe sei eine sehr gute Idee. Im Eingangsbereich der Bücherei gab es ein Schwarzes Brett, wo man solche Dinge aushängen konnte.
»Hätten Sie denn Interesse daran mitzumachen?«, fragte ich.
»Ja, Alex«, sagte sie. »Auf jeden Fall.«
»Ich meine nicht nur hypothetisch«, stellte ich klar. »Ich meine, wenn ich die Sache geklärt habe – soll ich Sie auf die Liste setzen?«
Dieser Satz schien sie zu amüsieren, jedenfalls tauchten eine Menge Lächelfalten in ihren Augenwinkeln auf. »Lächelfalten« war ein Wort, das Fiona Fitton benutzte, um die Falten in ihrem Gesicht zu erklären, die nicht immer sichtbar waren. Sie benutzte es oft, um auszudrücken, wie sehr ihr ein Buch oder eine Erzählung gefallen hatte. »Da kamen all meine Lächelfalten heraus«, sagte sie dann. Sie war ein paar Jahre älter als meine Mutter, vielleicht vierzig, und ihr Haar war rotblond, wobei es an den Wurzeln immer röter wurde. Ich sagte ihr schon seit geraumer Zeit, dass sie unbedingt Kurt Vonnegut lesen müsse. Ich dachte, dass viele seiner Sätze ihre Lächelfalten hervorlocken würden.
»Alex, setz mich auf die Liste«, sagte sie. »Und zwar nicht nur hypothetisch. Aber du musst einen Tag auswählen, an dem ich nicht arbeite.«
»Ich dachte mir, dass Sonntag den meisten Leuten gut passen würde«, sagte ich.
»Ja, Sonntag wäre prima«, nickte sie.
Damit war der Grundstein gelegt. Ich fing an, mir Gedanken über die anderen Leser zu machen, die möglicherweise an einem Beitritt zu meinem Kurt-Vonnegut-Leseklub interessiert sein könnten.
Da war zum Beispiel Mrs. Griffith. Seit sie auf der Beerdigung gesagt hatte, meine Lesung habe ihr gefallen, wollte ich ihr die Sirenen vorbeibringen. Es war zwar nicht Der Herr der Ringe , aber aus persönlicher Erfahrung wusste ich, dass man beides mögen konnte. Als Nächstes fiel mir Dr. Enderby ein. Er wusste schon ein bisschen über Kurt Vonnegut, weil wir bei einigen unserer Treffen über ihn gesprochen hatten. Dr. Enderby hatte Schlachthof 5 auf der Universität gelesen, vor drei Jahrzehnten, und er meinte, er wisse noch, dass er es sehr lustig und sehr traurig fand. Aber seitdem hatte er nichts mehr von Kurt Vonnegut gelesen. Es sei, so sagte er, immer schwieriger für ihn geworden, Zeit zum Lesen zu finden – jedenfalls wenn es sich um etwas anderes als medizinische Zeitschriften handelte, die er lesen musste, oder um Gedichte
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