Das Ungeheuer von Florenz
schlimm verprügelt hatte. Das Tier war weich und still, und sein Atem war irgendwie warm, und das war schön für mich. Aber dann hat meine Mama mich dabei erwischt, und sie hat gesagt, hast das Maultier wohl gern, was? Hast du 's gern? Und ich hab gesagt, ja, ich glaub schon, und meine Mama kam auf der Stelle mit einem Gewehr wieder und hat es gleich hinter dem Haus abgeknallt. Und dann hat sie mich windelweich geprügelt, weil sie für den Lieferwagen bezahlen mußte, der kam und das Maultier abgeholt hat. Sie haben ihm die vier Beine zusammengebunden und es fortgeschleift, sein Kopf war zurückgebogen und schleifte hinterher, so als würd es mich noch sehen, und ich war daran schuld, daß es tot war. Danach hab ich nie mehr was gern gehabt. Ich bin durch und durch schlecht, so wie sie's gesagt hat. Windelweich hat sie mich geprügelt, als sie das Maultier erschossen hat, aber da hab ich das Auge nicht verloren, das war ein anderes Mal, und davon weiß ich nicht mehr viel, weil ich tagelang nicht wieder aufgewacht bin. Einer meiner ›Onkel‹ hat mich ins Krankenhaus gebracht, und dort haben sie mir das Auge rausgenommen. Er hat gesagt, ich wär die Treppe runtergefallen, und ich hab nichts dazu gesagt. Jedenfalls damals nicht. Er war nicht richtig mein Onkel, er war einer von ihren Freiern, aber ab und zu hat er mit mir geredet, und er war auch der erste, der mir was über Sex und so beigebracht hat. Er hat es mit Tieren gemacht. Erst hat er sie getötet, und dann hat er es mit ihnen gemacht und mir gezeigt, wie es geht. Er hat gesagt, besorg dir doch ein Mädchen, du bist vierzehn. Deshalb bin ich hinter der einen her, aber sie wollte nicht, daß ich es mit ihr mache. Sie hatte Angst vor meinem Auge, vor dem Loch. Viele Leute hatten Angst davor, weil da immerzu Zeug rauskam. Sie hat auch gesagt, daß ich schlecht rieche und daß ich sie nicht anfassen darf. Ich mußte sie umbringen, um es mit ihr zu machen. Meistens mußte ich sie vorher umbringen, sonst könnt ich es nicht kriegen. Töten ist das einzige, wo ich immer gut drin war, und jetzt, wo man mich geschnappt hat, hab ich keine Angst vorm Sterben. Für jemanden wie mich ist das sowieso das Beste. Das weiß ich.«
Er war es also. Das war der Mann mit dem Glasauge. Dennoch war es nicht sein Gesicht gewesen, zerschlagen und wie wahnsinnig, das der Maresciallo im Traum gesehen hatte, sondern das eines jüngeren Mannes.
Der Maresciallo schlug die Seiten des Buches bis zum Mittelteil um, wo die Fotos waren, aber so ein Mann war hier nicht abgebildet. Und das einzige andere Buch, das er neben sich hatte, war eine Sammlung von Aufsätzen. Es enthielt keine Fotografien, nur Tabellen, Grafiken und Karten. Bacci hatte sich ein, zwei Dinge notiert und sie in italienischer Übersetzung auf ein zusammengefaltetes Blatt Schreibmaschinenpapier übertragen, das er hinten in das Buch eingelegt hatte. Die Notizen sahen nach einer trockenen, weniger bestürzenden Lektüre aus, und vielleicht hielt er sich besser daran, bis er daran denken konnte, sich wieder hinzulegen.
Aspekte der Herkunft Gesellschaftliche Schicht Familiäre Herkunft Gemeinsamkeiten mit Gleichaltrigen Kontakt mit persönlichkeitsbildenden Instanzen Auffassungsgabe und Denkschärfe Tatverhalten Interaktionsrahmen Selbstverständnis Einstellungen Erinnerung an das Tatgeschehen
Das war trockene Lektüre, keine Frage, und darüber müßte er in Null Komma nichts einschlafen können. Die von Bacci unterstrichenen Begriffe waren numeriert, so daß man die zugehörige Übersetzung auf dem losen Blatt leicht fand. Das Blatt war jeweils mit Bleistift beschrieben.
»Uff!«
Der Maresciallo begann das Buch schneller durchzublättern, die Augen fiel ihm zu. Bei einer mit roter Tinte unterstrichenen Stelle stockte er. Seltsamerweise war diese nicht numeriert. In der Klammer, in der die Ziffer hätte stehen sollen, stand statt dessen Sind wir das? Und am Rand ein großes Ausrufezeichen. Warum hatte er die Stelle nicht übersetzt, wenn sie so wichtig war? Der Maresciallo starrte auf den fremdsprachigen Text und versuchte vergeblich, ihn zu entziffern. Es ging darin um eine Spezialeinheit, soviel bekam er mit, doch was darüber ausgeführt wurde, konnte er sich beim besten Willen nicht zusammenreimen. Er schloß die Augen und ließ den Kopf aufs Kissen sinken. Schlafen. Er mußte schlafen.
»Nein! Das ist eine Lüge!«
»Unterlassen Sie Ihre Bemerkungen. Beantworten Sie nur die Fragen.«
»Was denn für Fragen?
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