Das Ungeheuer von Florenz
mit Silvano war wohl die Hölle.«
Di Maira schob das Blatt Papier über den Tisch zurück.
»Bei Gott, ich wünschte, ich hätte ihn für die Sache einbuchten können. Wir haben es ja nicht einmal geschafft, ihn wegen Mordes an seiner ersten Frau nach Sardinien zu überstellen. Nicht, daß es keine Beweise gegeben hätte, Zeugen ebenfalls, und das sogar nach siebenundzwanzig Jahren. Bloß hatte man damals keine Obduktion durchgeführt. Auch keine Fotos gemacht. Es war alles so hergerichtet gewesen, daß es wie Selbstmord aussah, und niemand hat einen Finger gerührt, um das Gegenteil zu beweisen.«
»Wollen Sie damit sagen, daß die Leute Bescheid wußten?«
»Jeder wußte Bescheid. Der Maresciallo des Dorfes, um mal bei dem anzufangen, ganz sicher. Er war zwar schon lange tot, als wir den Fall zu untersuchen begannen, aber aus Akten, die in seinem Revier vorhanden waren, war ersichtlich, daß er Silvano vorgeladen und seinen Daumenabdruck mit der Wunde am Hals der Frau verglichen hatte. Er wußte also ganz genau Bescheid, aber er ist nicht drangeblieben, und den Grund dafür kennen wir nicht.«
»Hatte er vielleicht Angst?«
Di Maira zuckte mit den Schultern. »Möglich wär's. Der Vargius-Clan war groß, und alle miteinander waren das üble Kunden. Und das Dorf liegt wirklich am Arsch der Welt. Ein Maresciallo stand dort auf verlorenem Posten. Wenn man in einem solchen Nest einen schrecklichen Unfall hatte, konnte es lange dauern, bis Hilfe kam. Aber, wie gesagt, heute können wir das nicht mehr rekonstruieren. Der zweite war ein Carabiniere aus dem Revier dieses Maresciallo, er lebt noch, oder zumindest lebte er in den Achtzigern noch. Er hat den Fall eigentlich bearbeitet, wenn man das bißchen Ermittlung so nennen will. Der Mistkerl hatte den Leichnam gefunden, konnte uns aber nichts sagen. Zog den Schwanz ein und lief zu seinem Maresciallo nicht, daß er nicht das Recht dazu gehabt hätte, aber er hat sich nichts angesehen, und als der Maresciallo dann tot war… Klar, es gibt einen Bericht der Mordkommission, wie das bei plötzlichen Todesfällen angeordnet ist, aber der Dorfarzt hatte grad mal einen Blick auf den Gaskanister mit dem in den Mund der Frau führenden Schlauch geworfen und ohne weiteres den Totenschein ausgestellt. Und das bedeutete, daß es der Maresciallo nur als Selbstmord in die Akten nehmen konnte.«
»Aber trotzdem wußten die Leute, daß es kein Selbstmord war?«
»Der Gaskanister war leer. Kein einziger von den Leuten, die in das Zimmer kamen – und die Nachbarn waren schon nach wenigen Minuten da –, der junge Carabiniere, der Maresciallo, die Familie der jungen Frau, keiner hat sich an dem Gas gestört oder sich etwa daran erinnert, daß es nach Gas roch, oder gar ein Fenster aufgemacht. Und schlimmer noch, das Baby stand in seinem Bett und schrie das Haus zusammen. Wäre der Kanister voll gewesen, dann wäre der Kleine noch eher tot gewesen als seine Mutter. Aber damit nicht genug. Die Mutter hatte an dem Abend zweimal bei den Nachbarn geklopft und sie gebeten, die Milch für sie zu wärmen, weil ihr das Gas ausgegangen war, einmal um sechs Uhr dreißig und das zweite Mal um zehn Uhr. Gefunden hat man sie dann um halb zwölf.«
»Der junge Carabiniere, von dem Sie gesprochen haben?«
»Er behauptet, Silvano hätte sie gefunden. Angeblich hörten die Nachbarn, wie er an die Tür seines eigenen Hauses hämmerte und schrie. Anschließend hämmerte er an ihre Tür und sagte, als sie aufmachten, seine Frau habe einen Mann im Haus und wolle ihn nicht reinlassen. Er hat eine richtige Show abgezogen, die eigene Haustür vor den Augen der Nachbarn aufgebrochen.«
»Hatte er ein Alibi für die Zeit unmittelbar davor?«
»Ja, im üblichen Silvano-Stil. Man hatte ihn in der Bar beim Billardspielen und in jedem anderen Lokal des Orts gesehen, in dem er Stammgast war, und zwar in Begleitung seines Schwagers Giuseppe. In Wahrheit hatte natürlich niemand die beiden gegen halb elf Uhr abends gesehen, so daß sie alle Zeit der Welt hatten, den Mord zu begehen. Der Schwager hatte nur die Aufgabe, die Aussage zu bestätigen, zu sagen, sie seien zusammengewesen, bis zwei Minuten bevor Silvano an seine eigene Tür hämmerte… Wenn Sie Romolas Bericht gelesen haben, wissen Sie ja über Silvano Bescheid, und dann ist Ihnen auch klar, daß die Frau und das Kind nur Fassade waren für die Beziehung zwischen Silvano und ihrem Bruder Giuseppe. Das ist in dem Dorf nie herausgekommen, ergo ist auch
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