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Das Ungeheuer von Florenz

Das Ungeheuer von Florenz

Titel: Das Ungeheuer von Florenz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Magdalen Nabb
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könnte auch zu unbeherrschten Wutausbrüchen und Eifersuchtsanfällen neigen und von Gewaltphantasien, vermutlich sexuellen Inhalts, besessen sein. Sein Verhalten kann für andere bedrohlich werden, und möglicherweise gelingt es ihm nach einem Ausbruch von rasender Wut nur schwer, sich wieder zu beruhigen. Zuweilen tarnt sich solche übermäßige Wut durch eine Maske der Normalität, aber sie ist nichtsdestotrotz vorhanden. Wir sollten auch auf neurologische Symptome achten, auf Migräne, übermäßige Licht- und Lärmempfindlichkeit, eine chronische Störung des Zahlen- oder Wortgedächtnisses, auf Kopfschmerzen, die eine Gesichtshälfte betreffen, auf Beeinträchtigungen des Sprachvermögens nach schweren Kopfschmerzattacken oder auf akute optische Halluzinationen. Dies alles können Folgen oder Symptome einer kardiovaskulären Störung sein, die ihrerseits Auswirkungen auf das neurologische System eines Menschen hat und die auf lange Sicht auch sein Verhalten beeinflussen kann.
    Dies alles müssen wir im Auge behalten. – Wenn ich Sie mir so anschaue, lese ich von Ihren Gesichtern die übliche Reaktion auf medizinische Erkenntnisse ab.«
    Simonetti blickte mit strahlendem Lächeln reihum. »Sie brauchen es gar nicht zu leugnen. Während ich das vortrug, haben Sie doch alle im stillen gedacht: ›Ich habe doch auch manchmal Migräne‹, ›Ich bin eifersüchtig auf meine Frau oder meine Freundin‹, ›Ich habe Probleme mit der Rechtschreibung‹. Habe ich nicht recht? Bitte, regen Sie sich nicht auf. Das Heimtückische an diesen Symptomen ist ja, und unser Mediziner weist freundlicherweise in diesem Bericht ausdrücklich darauf hin, daß alle diese Symptome an sich gutartig sind. Erst wenn mehrere solcher Symptome zusammenkommen, entsteht ein Gefahrenpotential, so daß die Fähigkeit eines Menschen, sich in der Gesellschaft zu bewegen, gestört werden kann. Und – dies ist ein sehr wichtiger Faktor – ist die Grenze zwischen einer Gewaltphantasie und tatsächlicher Gewaltausübung einmal überschritten, dann ist es nicht mehr schwer, die nächste Gewalttat zu begehen. Aber jetzt will ich Sie nicht länger mit Theorien langweilen. Ich glaube, wir sollten uns nun einen ersten Eindruck von unserem Verdächtigen verschaffen, damit Sie seine Vorgeschichte im Kopf haben, wenn Sie ihn am späteren Nachmittag vorgeführt bekommen. Übrigens, irgend etwas ist zur Presse durchgesickert, ich weiß zwar nicht wie, aber ich habe Vorsichtsmaßnahmen ergriffen, und ich bin sicher, Sie werden meine Beweggründe verstehen, wenn wir uns heute nachmittag um 14 Uhr 30 erst wieder hier versammeln, bevor wir uns an einen Ort begeben, an den ich unseren Verdächtigen bringen lassen werde. Ich gehe davon aus, daß Sie Verständnis für diese Maßnahme haben. Mir liegt es natürlich fern zu glauben, jemand von Ihnen hätte Informationen an die Presse weitergegeben, aber es ist von Vorteil für Sie zu wissen, daß man die undichte Stelle, wenn es denn eine gibt, nicht in Ihrem Kreis suchen wird. Ich frage mich, ob vielleicht ein Kaffee angebracht wäre, bevor wir weitermachen – um Sie während meiner trockenen Ausführungen wach zu halten…«
    Ein neuerliches strahlendes Lächeln verneinte, daß dies wirklich notwendig war, doch der junge Polizist Noferini, eifrig wie immer, war schon aufgesprungen.
    »Ich kümmere mich darum.«
    Der Maresciallo zumindest war froh, sich nach dem langen Sitzen ein wenig die Beine vertreten zu können, während seine Kollegen in den Taschen nach Zigaretten suchten.
    Er schaute auf den Verkehr hinunter, der sich in der Via Zara spritzend durch den Regen bewegte, bis er ein Rauchwölkchen neben seiner Schulter wahrnahm und sich umdrehte, überzeugt, daß es Ferrini war. Er hätte nicht überraschter sein können, als er sah, wie die Hand mit der Narbe zuerst eine Zigarette zum Mund führte und zwischen die Lippen klemmte, bevor sie dem Maresciallo hingestreckt wurde.
    »Guarnaccia, mir ist erst jetzt klargeworden, wer Sie sind.« Was sollte das denn bedeuten? Der Maresciallo durchforstete sein Gedächtnis nach dem Namen dieses Beamten. Die Mitglieder der Sonderkommission waren einander beim ersten Zusammentreffen vorgestellt worden, aber davon war nicht viel haftengeblieben, und der Kopf des Maresciallo war leer.
    »Esposito«, sagte der andere Mann. »Ich muß gestehen, daß ich mich an Ferrini zwar erinnern konnte, aber bei Ihrem Namen hat es bei mir anfangs nicht geklingelt. Sie haben gemeinsam an

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