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Das Ungeheuer von Florenz

Das Ungeheuer von Florenz

Titel: Das Ungeheuer von Florenz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Magdalen Nabb
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daß der Verdächtige sich so oder so verhalten hatte, weil es verrückt gewesen wäre, ein bestimmtes Risiko einzugehen, wurde diese Überlegung unweigerlich dadurch unterminiert, daß er, wenn er sechzehn Leute abgeschlachtet hatte, die er gar nicht kannte, ja auch verrückt sein mußte – und wie dann weiter? Und wenn es einem über den Verstand ging, daß die Tochter ihren Vater bei der Polizei angezeigt hatte, als das alles schon lange zurücklag – kein Wunder, sie war ja nicht bei Verstand, oder? Und so immer wieder im Kreis bis zum nächsten Kurzschluß. Ein weiteres Problem bestand darin, daß er die Aktennotizen zu diesem Fall aus einem Zeitraum von zwanzig Jahren nie ganz durchgelesen hatte, doch das würde er keinem Menschen gegenüber je zugeben. Seine derzeitige hohe Arbeitsbelastung – Lorenzini hatte einen ihm zustehenden Urlaub angetreten – erlaubte es ihm nicht, und zumindest einem Teil seiner gewohnten Aufgaben mußte er ja auch nachgehen. Er gab niemandem die Schuld daran. Er gab nur sich und seiner Langsamkeit die Schuld, denn alle anderen hatten den Aktenberg ja anscheinend bewältigt. Diese Feststellung brachte ihn jedoch auch nicht weiter. Er mochte ja langsam sein – er kam sich vor wie jemand, vor dessen Augen ein Film, den er begreifen wollte, im schnellen Vorlauf abgespult wurde –, jedenfalls war er überzeugt davon, daß in diesem Fall auch Informationen fehlten. Es gab keine reale Grundlage für diese Annahme, doch seine Zweifel hatten sich erhärtet, als er mit angesehen hatte, wie Simonetti die Tochter befragte. Aus der Abschrift der gerichtlichen Vernehmung hatte er bloß die Teile ausgewählt, die dazu beitrugen, den Verdächtigen als das Ungeheuer erscheinen zu lassen. Man konnte sich daher fragen, ob die Akten, die man ihnen ausgehändigt hatte, nicht ebenso selektiv zusammengestellt worden waren. Und wenn dies zutraf, war das ein Verstoß gegen Ermittlungsprinzipien oder einfach nur sinnvoll? Der Maresciallo konnte diese Frage nicht beantworten, solange er als einziger aus der Sonderkommission die Akten, die man ihm gegeben hatte, nicht bis zu Ende durchgelesen hatte. Dies und anderes wollte er schon seit Tagen mit Ferrini bereden, aber nun, wo sie nicht mehr in der gleichen Schicht arbeiteten, war es schwierig geworden, überhaupt noch mit ihm sprechen zu können. Aber wenigstens hatte er ihn, als man die Tochter wegführte, fragen können: »Finden Sie, daß das notwendig war? Ich meine, vor so vielen Männern?«
    »Sie wird in einem vollbesetzten Gerichtssaal aussagen müssen.«
    »Aber man könnte ihre Aussage doch bestimmt mit einer Kamera in den Saal übertragen?«
    »Schon möglich, aber das werden sie nicht machen. Zumindest nicht, wenn wir die Beretta nicht unter seinem Kopfkissen finden. Das Mädchen ist die beste Waffe und vielleicht auch die einzige, die die Anklage hat.«
    »Er kann nicht noch einmal wegen desselben Verbrechens verurteilt werden.«
    »Nein. Aber so wird es kommen, lassen Sie sich das gesagt sein. Und außerdem wegen des Mords vor vierzig Jahren. Strengen Sie mal Ihren Grips an, Guarnaccia. Sonst wäre die Verhandlung ja in Null Komma nichts vorbei. ›Sie sind das Ungeheuer von Florenz.‹ – ›Nein, bin ich nicht.‹ Die Geschworenen ziehen sich zur Beratung zurück.«
    »Dann kommt es eben gar nicht vor Gericht.«
    »Meinen Sie?«
    Was für ein Schlamassel. Der Maresciallo schaute mit zusammengekniffenen Augen zu dem schwachen Schatten des Hauses hinüber. Es konnte ja sein, daß sie etwas fanden, aber viel Hoffnung hatte er nicht. Dem Verdächtigen war klar, daß sein Telefon angezapft war, das wußten sie inzwischen. Das hatte der Mann an der Theke auch noch erzählt, und er fand die Geschichte höchst amüsant, weil den Verdächtigen anscheinend wenig ängstigte, sich selbst verraten zu können. Vielmehr trieb ihn die Sorge um, seine Telefonrechnung könne stark steigen. Daß sie eine Wanze in seinem Haus angebracht hatten, schien er aber nicht zu wissen. Er dachte wahrscheinlich, so etwas gebe es nur in Agentenfilmen. Worüber hatte er noch mal nachdenken wollen? Über die Tochter des Verdächtigen. Da hatte er sein Gedächtnis nach etwas durchforscht, was sie gesagt hatte, und in Wirklichkeit war es der Barmann gewesen… was hatte der mit der Sache zu tun? Die Augenbrauen des Barmanns stießen in der Mitte zusammen. Ach nein, es waren die von Noferini, aber was hatte der hinter dieser Theke verloren? Er sollte endlich ein bißchen

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