Das Ungeheuer
VJ zu einer solchen Intelligenzbestie wurde. Aber hatte er auch nur einen Moment innegehalten und darüber nachgedacht, was mit einem solchen Genie Hand in Hand gehen konnte?
Wenn David und Janice und dieser Lehrer durch VJ ums Leben gekommen waren - würde er, Victor, das jemals mit seinem Gewissen abmachen können?
Marsha begann zögernd, aber ihre Überzeugung machte sie stark. »Ich glaube, wir müssen herausfinden, was VJ sonst noch in seinem Labor treibt.«
Victor ließ die Arme schlaff an den Seiten seines Stuhls herunterfallen und starrte aus dem Fenster. Er schaute auf den Uhrenturm; er wußte, daß VJ in diesem Moment dort arbeitete. Er wandte sich zu Marsha um. »Komm, laß es uns sofort machen!«
14
Montag nachmittag
Marsha mußte laufen, um mit Victor Schritt zu halten, als er sich auf den Weg zum Fluß machte. Wenig später hatten die beiden den benutzten Teil des Geländes hinter sich. Im hellen Tageslicht sahen die verlassenen Gebäude nicht ganz so düster aus.
Im Uhrenturm angekommen, ging Victor direkt zu der Falltür, bückte sich und klopfte mehrere Male hart auf die Bodenplanken.
Nach einer knappen Minute ging die Falltür auf. Ein Mann in Chimera-Werkschutzuniform musterte Victor und Marsha mit prüfendem Blick, dann winkte er ihnen, hinunterzukommen.
Victor ging als erster die Stufen hinab. Bis Marsha unten angekommen war, hatte Victor bereits das Schaufelrad umrundet und steuerte zielstrebig auf die Eisentür zu, die den Zugang zum unerforschten Teil von VJs Labor versperrte. Auf Marsha wirkte das Labor selbst noch genauso abschreckend, wie es schon beim letztenmal, als sie dort gewesen war, auf sie gewirkt hatte. Sie wußte, daß die Früchte naturwissenschaftlicher Forschung zu guten oder zu bösen Zwecken benutzt werden konnten, und irgend etwas an diesem unheimlichen Kellergewölbe gab ihr das Gefühl, daß die Forschungen, die hier getrieben wurden, ganz entschieden zur letzteren Kategorie gehörten.
»He!« schrie einer der Wachmänner, als er sah, daß Victor sich der verbotenen Tür näherte. Er sprang auf, sprintete
quer durch den Raum und packte Victor am Arm. Er riß ihn rüde herum. »Da darf niemand rein!« schnarrte er mit seinem harten spanischen Akzent.
Zu Marshas Überraschung drückte Victor blitzschnell die Hand gegen das Gesicht des Mannes und stieß ihn zurück. Die Reaktion kam so überraschend für den Mann, daß er strauchelte und auf ein Knie fiel. Aber es gelang ihm, Victors Arm festzuhalten. Mit einem heftigen Ruck riß Victor seinen Arm aus dem Griff des Mannes los und wandte sich erneut der Tür zu.
Der Wachmann zog ein Klappmesser aus seinem Stiefel und ließ es aufschnappen. Die rasiermesserscharfe Klinge blitzte gefährlich im Neonlicht auf.
»Victor!« schrie Marsha gellend. Ihr Schrei ließ Victor herumfahren. Der Wachtposten kam auf ihn zu, das Messer wie ein Miniaturrapier vor seinem Körper haltend. Victor parierte den Stoß mit einer blitzschnellen Armbewegung, aber der Mann bekam ihn erneut am Ärmel zu fassen. Bedrohlich schwebte die Klinge über Victor.
»Schluß jetzt!« schrie VJ, der in diesem Moment aus der Tür gestürmt kam. Die beiden anderen Wachtposten, die im Raum waren, drängten sich zwischen die Kontrahenten; einer hielt Victor fest, der andere kümmerte sich um seinen messerschwenkenden Kollegen.
»Laßt meinen Vater los!« befahl VJ.
»Er wollte in das Geheimlabor«, verteidigte sich der Wachtposten mit dem Messer.
»Ihr sollt sofort meinen Vater loslassen!« befahl VJ in noch strengerem Ton als beim erstenmal.
Die beiden Wachtposten ließen Victor los, nicht ohne ihm noch einen letzten, wütenden Stoß zu verpassen. Er taumelte vorwärts, bemüht, das Gleichgewicht wiederzuerlangen. Dann wandte er sich erneut zu der Tür. VJ wirbelte herum und kriegte Victor gerade noch am Arm zu fassen, bevor er sich hinter ihm vorbei durch die Tür drängen konnte.
»Bist du sicher, daß du da rein willst?« fragte VJ.
»Ich will alles sehen«, sagte Victor.
»Erinnerst du dich an den Baum der Erkenntnis?«
»Des Guten und des Bösen«, entgegnete Victor. »Du kannst mir das nicht ausreden.«
VJ ließ seinen Arm los. »Nun gut, wie du willst, aber mach dich darauf gefaßt, daß dir das, was du siehst, möglicherweise nicht gefallen wird!«
Victor schaute Marsha an, die ihm zunickte, er solle hineingehen. Langsam zog er die Tür auf. Blaßblaues Licht flutete heraus. Victor trat über die Schwelle, dicht gefolgt von Marsha. VJ
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