Das Ungeheuer
erste Vermutung war, daß diese Leute irgendeine Art von DNS-Vector mitgekriegt haben und daß er in ihren Blutstrom gelangt ist. Das erschien mir so merkwürdig, daß ich mir eine Menge weiterer Gedanken darüber gemacht habe. Der einzige mögliche Mechanismus, den ich mir vorstellen konnte, ist, daß Einschlußkörperchen in Leukozyten mit diesem infektiösen Gen gefüllt waren. Sobald die Kupferschen Zellen in der Leber sie aufschnappten, fügten sich die infektiösen Körper in das Genom der Zelle ein. Die neuen Gene wandelten sodann Proto-Onkogene in Onkogene um, und schwupp: Leberkrebs. Aber dieses Szenarium hat einen Haken. Wissen Sie, welchen?«
»Nein. Welchen denn?«
»Es gibt nur einen Weg, wie die Einschlußkörperchen in die Leukozyten und in den Blutstrom gelangen können«, sagte Robert, nicht ahnend, welche Wirkung dies alles auf Victor hatte. »Sie müssen injiziert werden. Ich weiß, daß sich das verrückt - « Robert konnte seinen Satz nicht mehr vollenden. Victor hatte aufgelegt.
Die Indizien hatten sich zu einem Beweis zusammengefügt, der unumkehrbar und unwiderlegbar war. Es gab nichts mehr daran zu rütteln: David und Janice waren an Leberkrebs gestorben, der von einem Stück fremden DNS' verursacht worden war, das sich in ihre Chromosomen eingefügt hatte. Und dann war da noch der Lehrer von der Pendieton Academy, von dem Marsha ihm erzählt hatte. Alle diese Leute hatten in einer engen Verbindung zu VJ gestanden. Und VJ war ein naturwissenschaftliches Genie, das über ein ultramodernes, mit allen Schikanen ausgestattetes Labor verfügte.
Colleen steckte den Kopf zur Tür herein. »Ich wollte warten, bis Sie mit Ihrem Telefongespräch fertig sind«, sagte sie fröhlich. »Ihre Frau ist hier. Kann ich sie reinschicken?«
Victor nickte. Er fühlte sich plötzlich ungeheuer müde.
Marsha kam herein und schlug die Tür hinter sich zu. Der Luftzug ließ die Papiere auf Victors Schreibtisch rascheln. Sie steuerte direkt auf Victor zu, beugte sich über den Schreibtisch und schaute ihm in die Augen.
»Ich weiß, daß du am liebsten nichts unternehmen würdest«, sagte sie. »Ich weiß, daß du VJ nicht beunruhigen willst, und ich weiß, daß du ganz hingerissen bist von seinen Leistungen, aber du wirst dich mit der Tatsache auseinandersetzen müssen, daß der Junge nicht nach den Regeln spielt. Laß mich dir von meiner jüngsten Entdeckung erzählen! VJ hängt mit einer Gruppe von Kolumbianern zusammen, die angeblich vorhaben, in Mattapan ein Möbelimportgeschäft aufzumachen. Ich habe diese Männer kennengelernt, und ich sag dir, die sehen ganz und gar nicht wie Möbelhändler aus.«
Marsha hielt abrupt inne. Victor reagierte überhaupt nicht. »Victor!« rief Marsha. Seine Augen hatten einen verschwommenen, abwesenden Ausdruck.
»Marsha, setz dich!« sagte Victor und schüttelte traurig und bedächtig den Kopf. Er stützte ihn in die Hände und lehnte sich vor, die Ellbogen auf dem Schreibtisch. Dann
fuhr er sich mit den Fingern durchs Haar, rieb sich den Nacken und richtete sich auf. Marsha setzte sich, ihren Mann anstarrend. Ihr Puls begann zu jagen.
»Ich habe gerade etwas noch viel, viel Schlimmeres erfahren«, begann Victor. »Vor ein paar Tagen beschaffte ich mir Gewebeproben von Davids und Janices Tumoren. Robert hat sie analysiert. Er rief mich vor wenigen Minuten an, um mir zu sagen, daß ihr Krebs künstlich herbeigeführt wurde. Ein fremdes krebserzeugendes Gen wurde in ihre Blutbahn gebracht.«
Marsha schrie auf und schlug entsetzt die Hände vors Gesicht. Obwohl sie selbst leise diesen Verdacht gehegt hatte, war die Bestätigung ein solcher Schock, als hätte sie sie unvorbereitet getroffen. Und die Tatsache, daß sie ausgerechnet von Victor kam, der sie jedesmal niedergemacht hatte, wenn sie von ihren Ängsten und Befürchtungen gesprochen hatte, machte alles nur noch um so schrecklicher. Sie biß sich auf die Unterlippe, während sie vor Wut, Traurigkeit und Angst zugleich zitterte. »Es muß VJ gewesen sein!« sagte sie leise.
Victor hieb mit der flachen Hand auf den Tisch, so heftig, daß ein paar Papiere heruntersegelten.
»Das steht, verdammt noch mal, noch nicht fest!« brüllte er.
»Alle diese Leute standen in einer engen Beziehung zu VJ«, sagte Marsha, seine eigenen Gedanken wiedergebend. »Und er wollte sie aus dem Weg haben.«
Victor schüttelte den Kopf in grimmiger Resignation. Wieviel Schuld lag bei ihm und wieviel bei VJ? Er hatte dafür gesorgt, daß
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