Das Urteil
sie?«
»Im Motel.«
»Können wir sie nicht herbringen lassen?«
»Nein. Wir haben es versucht. Sie kommen nicht, bevor sie nicht mit Ihnen gesprochen haben.«
Harkins Schultern sackten herab, er war so fassungslos, daß er den Mund nicht mehr zubekam. »Das nimmt allmählich absurde Formen an«, sagte Wendall Rohr zu niemand im besonderen. Die Anwälte beobachteten den Richter, der geistesabwesend den Stapel Papiere auf seinem Schreibtisch betrachtete und Ordnung in seine Gedanken zu bringen versuchte. Dann rieb er sich die Hände und bedachte alle Anwesenden mit einem breiten, falschen Lächeln. »Na dann fahren wir mal hin.«
Konrad nahm den ersten Anruf um 8.02 Uhr entgegen. Sie wollte nicht mit Fitch sprechen, sondern ihn nur informieren, daß die Geschworenen wieder rebellierten und nicht kommen wollten, bevor Richter Harkin persönlich im Siesta Inn erschienen war und die Wogen geglättet hatte. Konrad eilte in Fitchs Büro und übermittelte die Nachricht.
Um 8.09 Uhr rief sie abermals an und informierte Konrad, daß Easter ein dunkles Jeanshemd über einem rehfarbenen TShirt tragen würde, die übliche khakifarbene Hose und rote Socken. Rote Socken, wiederholte sie.
Um 8.12 Uhr rief sie zum drittenmal an. Diesmal wollte sie mit Fitch sprechen, der um seinen Schreibtisch herumtigerte und an seinem Spitzbart zerrte. Er umkrampfte den Hörer. »Hallo.«
»Guten Morgen, Fitch«, sagte sie.
»Guten Morgen, Marlee.«
»Waren Sie schon mal im St. Regis Hotel in New Orleans?« »Nein.«
»Es liegt an der Canal Street im French Quarter. Auf dem Dach gibt es ein Freiluftrestaurant. Heißt Terrace Grill. Nehmen Sie einen Tisch, von dem aus Sie ins Quarter hinuntersehen können. Seien Sie heute abend um sieben Uhr dort. Ich komme später dazu. Alles klar?«
»Ja«
»Und kommen Sie allein, Fitch. Ich werde Sie beobachten, wenn Sie das Hotel betreten; und wenn Sie Ihre Freunde zu dem Treffen mitbringen, ist die Sache geplatzt. Alles klar?«
»Alles klar.«
»Und wenn Sie versuchen, mich beschatten zu lassen, dann verschwinde ich.«
»Sie haben mein Wort.«
»Warum beruhigt mich das nur so gar nicht, Fitch?« Damit legte sie auf.
Cable, Rohr und Richter Harkin wurden an der Eingangstür von Lou Dell in Empfang genommen, die nervös und aufgeregt war und ständig wiederholte, daß ihr so etwas noch nie passiert wäre, bisher hätte sie die Geschworenen immer unter Kontrolle gehabt. Sie führte die Herren ins Partyzimmer, wo sich dreizehn der vierzehn Geschworenen versammelt hatten. Der einzige Abweichler war Herman Grimes. Er hatte der Gruppe Vorwürfe wegen ihres Verhaltens gemacht und dabei Jerry Fernandez so aufgebracht, daß dieser ihn beleidigt hatte. Jerry hatte darauf hingewiesen, daß Herman seine Frau bei sich hatte, daß er weder für eine Zeitung noch das Fernsehen Verwendung hatte, keinen Alkohol mehr trank und vermutlich auch keinen Fitneßraum brauchte. Jerry entschuldigte sich, nachdem Millie Dupree ihn dazu aufgefordert hatte.
Wenn Seine Ehren in Angriffsstimmung war, so hielt das nicht lange vor. Nach ein paar unsicheren Hallos und Guten Morgens machte er gleich einen schlechten Anfang: »Ich muß sagen, ich bin ein wenig irritiert.«
Worauf Nicholas Easter entgegnete: »Wir sind nicht in der Stimmung, uns Vorwürfe machen zu lassen.«
Rohr und Cable war ausdrücklich verboten worden, sich einzumischen, und sie standen an der Tür und schauten sehr amüsiert zu. Beide wußten, daß sie eine solche Szene in ihrer ganzen Prozeßkarriere wohl kein zweites Mal erleben würden.
Nicholas hatte eine Beschwerdeliste aufgestellt. Richter Harkin zog seinen Mantel aus, setzte sich und wurde bald aus allen Richtungen bombardiert. Er war allein auf weiter Flur und praktisch hilflos.
Bier war kein Problem. Zeitungen konnten an der Rezeption zensiert werden. Gegen eingehende Telefongespräche war nichts einzuwenden. Und auch nicht gegen Fernsehen, aber nur, wenn sie versprachen, sich nicht die Lokalnachrichten anzuschauen. Das mit dem Fitneßraum könnte sich als problematisch erweisen, aber er würde sich darum kümmern. Kirchenbesuche konnten arrangiert werden.
Es ließ sich alles machen.
»Können Sie uns erklären, weshalb wir hier sind?« fragte Lonnie Shaver.
Er versuchte es. Er räusperte sich und unternahm den Versuch, seine Gründe für ihre Isolierung zu rechtfertigen. Er redete eine Weile über unerlaubte Kontakte, darüber, was bisher mit dieser Jury passiert war, und machte einige
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