Das Urteil
anstrengen. Falls Sie dies nicht beantragen, werde ich das Verfahren für mein Teil nicht niederschlagen.«
Freeman, der nicht wirklich erwartet hatte, beides haben zu können, war dennoch zufrieden. Aber er verzog keine Miene. »In diesem Falle, Euer Ehren, ziehen wir es vor fortzufahren, auch wenn der Prozeß meiner Ansicht nach fatal in Mitleidenschaft gezogen worden ist. Ich habe Mrs. Witt die Sachlage geschildert, und sie zieht es vor weiterzumachen. Ist das richtig, Jennifer?«
Jennifer sah auf. »Ja.«
Sie alle marschierten zurück in den Gerichtssaal, wo Villars der Jury bekannt gab, daß sie den Entschluß gefaßt habe, dem Antrag 1118 der Verteidigung bezüglich der Mordsache Ned Hollis stattzugeben - juristisch gesehen gab es nicht genügend Beweise, um Jennifer Witt wegen Mordes an ihrem ersten Ehemann zu verurteilen. Am Montag würde die nächste Phase des Verfahrens aufgenommen, aber, so fügte Villars hinzu, bis dahin schlage sie vor, die Geschworenen sollten früh nach Hause gehen und sich ein ruhiges Wochenende machen.
Hardy schälte sich aus seinem nassen Regenmantel, schmiß ihn ans andere Ende des Sitzes, auf die Ecke der langen gepolsterten Bank bei Lou dem Griechen. Freeman quetschte sich gegenüber von Hardy in die Nische.
Es war noch vor vier Uhr, ein bereits recht dunkler Nachmittag. Am Tresen spielte Lou eine ruhige Runde Mogeln mit einem Stammgast; seine Frau sah sich eine Seifenoper im Fernseher oben in der Ecke an. Freeman und Hardy waren die einzigen anderen Gäste im Restaurant.
Der Kaffee kam, und Hardy legte die Finger um die Tasse, um sie aufzuwärmen. Freeman ließ sich Zeit, schaufelte zwei Löffel Zucker in die Tasse, goß etwas Sahne dazu. Er rührte um, nahm einen kleinen Schluck, schüttete mehr Sahne dazu, rührte wieder um.
»Diz, ich muß Ihnen etwas sagen, und es wird Ihnen nicht schmecken.«
Hardy mußte sich zusammennehmen, damit ihm nicht die Hände zitterten. »Wie lange wissen Sie das schon?«
Freeman betrachtete eingehend seine Fingernägel. »Länger, als Sie es gerne hören wollen, Diz.«
Hardy nickte. Was konnte er schon tun? Freeman hatte ihm soeben mitgeteilt, daß Jennifer tatsächlich ihren ersten Ehemann, Ned, umgebracht hatte. Sie hatte ihm das Atropin gespritzt. Genau wie die Anklagevertretung behauptet hatte. Und Freeman hatte es die ganze Zeit über gewußt.
»Wissen Sie, Sie sind ein echter Hurensohn«, sagte er.
Der ältere Mann nickte. »Ich kann verstehen, warum Sie das denken, aber ich hatte ehrlich nicht gedacht...«
»Ach, scheiß drauf, David. Sie hatten ehrlich nicht gedacht? Ich bitte Sie!«
»Diz...«
»Nein. Nein, nichts da mit Diz. Sie hat es Ihnen gesagt?«
Freeman nickte.
»Und Sie konnten einfach weitermachen? Mit dieser unglaublichen Farce?«
»Selbstverständlich.«
Das Blut pochte in den Schläfen. »Sogar noch selbstver ständlich. Das find' ich super. Nicht einfach aber ja doch, Diz , sondern selbstverständlich .«
»Sie ist eine Mandantin. Natürlich ist sie schuldig. Wir sind dazu da, sie freizupauken. Und wie ich hinzufügen darf, ist uns das soeben gelungen.«
»Das ist uns soeben gelungen. Du meine Güte. Das verdient einen Orden, was?«
»Es stört Sie, nicht wahr?«
Hardy hob die müden Augen. »Stört mich? Ich schätze mal, das ist angebracht, David. Mehr als angebracht, sogar gerecht, sofern die Vokabel für Sie irgendeine Bedeutung hat.« Er nahm einen großen Schluck von seinem Bier. »Aber rein interessehalber, weil ich mich aus der Sache ausklinke, hat sie auch Larry umgebracht? Und sogar Matt? Was haben Sie sonst noch die ganze Zeit über gewußt?«
»Nein.«
»Was nein?«
»Nein, ich glaube nicht, daß sie Larry umgebracht hat. Oder Matt.«
»Das glauben Sie nicht?«
»Diz, ich habe nein gesagt.«
»Nein, David, Sie haben gesagt, Sie glauben es nicht, was, wie ich Ihnen wohl kaum verdeutlichen muß, einigen Spielraum für unterschiedliche Auslegungen läßt. Als ob Sie das nicht wüßten.«
Freeman zupfte am ausgefransten Saum seines Hemdes herum. »Sie können sich nicht ausklinken. Was soll das überhaupt heißen? Aufhören? Jetzt.«
Hardy sah ihn lange an. »Ich weiß, daß Sie sich nicht beson ders für die Populärkultur interessieren, David, aber jawohl, ausklinken heißt aufhören. Mir reicht's. Ich gebe den Fall ab, klar? Lege ihn nieder. Glauben Sie, ich könnte hier weiter herumhängen und Teil der ganzen Sache sein? Ich pauke eine Frau frei, wenn sie ihren Ehemann umgebracht
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