Das Urteil
Powell, Justin Morehouse, Powells junger Assistent, und Villars okkupierten so ziemlich den übrigen Raum. Oder vielleicht fühlte es sich nur so an. Alle standen eng zusammengescharrt, zu eng, eine unsichtbare Luftblase umgab sie, und der Druck im Inneren stieg stetig an.
»Aber gewiß war es mein voller Ernst, Euer Ehren.« Freeman sah in seinem zehn Jahre alten braunen Anzug besonders blaß aus. »Ich habe übers Wochenende viel darüber nachgedacht, seit Sie so großzügig meinem Antrag 1118 stattgeben haben...«
»Daran war nichts Großzügiges. Geben Sie der Sache keine persönliche Färbung ...«
»Die Tatsache jedenfalls bleibt bestehen. Ich bin davon überzeugt, daß bei diesem Prozeß die Todesstrafe nicht zur Debatte stünde, wenn unser guter Dean nicht für den Posten des Generalstaatsanwalts kandidieren würde.«
»Euer Ehren.« Powell trug seine unerschütterliche Selbstbeherrschung vor sich her, aber man sah, daß es ihm zunehmend schwerer fiel. »Mr. Freeman weiß nur zu genau, daß bei den beiden verbleibenden Morden jeweils erschwerende Umstände vorliegen. Bei diesem Verfahren geht es um die Todesstrafe.«
»Das Verfahren ist politisch gefärbt, und Sie wissen es, Dean.«
»Nichts daran ist politisch.«
Freeman wandte sich an Villars. »Lassen Sie ihn das unter Beweis stellen, Euer Ehren, falls er kann. Vertagen Sie das Verfahren, bis die Wahl vorbei ist. Dann wollen wir mal sehen, wie erpicht unser pflichteifriger Strafverfolger darauf ist, für Jennifer die Todesstrafe zu beantragen.«
»Euer Ehren, ich verbitte mir die Unterstellungen des Verteidigers ...«
»Ich unterstelle gar nichts, Euer Ehren. Wir haben gute Gründe, jetzt auf der Stelle Revision zu beantragen, und meiner Meinung nach sind wir kurz davor, das Recht meiner Mandantin auf eine ordentliche Prozeßabwicklung erneut zu verletzen. Ich werde womöglich doch noch die Niederschlagung des Verfahrens beantragen müssen.«
Aber Freeman gewann keine hundert Dollar, obwohl er das Zauberwort ausgesprochen hatte. Statt dessen richtete Villars sich auf und zeigte mit dem Finger auf ihn. »Am Freitag haben Sie gesagt, daß Sie keine Niederschlagung des Verfahrens wünschen, Mr. Freeman. Ich werde nicht zulassen, daß Sie bei ein und demselben Punkt die entgegengesetzte Meinung vertreten.«
Powell, dessen Ärger allmählich deutlich zu sehen war, knackte mit den Knöcheln und fuhr sich mit den Händen durchs Haar. »Wenn er den Prozeß bis nach der Wahl verscho ben haben wollte, hätte er es jederzeit beantragen können. Jetzt haben wir eine Jury benannt, haben Zeugen, die ihre Terminpläne abgeändert haben, um vor Gericht erscheinen zu können. Wenn wir das Verfahren zum jetzigen Zeitpunkt vertagen ...«
Villars ging einen Schritt auf die beiden Männer zu, ihre ansonsten eher grauen Wangen leuchteten rot. Sie sprach leise, doch ihre Stimme hatte den scharfen Klang der Auto rität. »Na schön, jetzt hören Sie mir mal alle beide gut zu. Wenn Mr. Freeman es nicht jetzt sofort beantragt, wird das Verfahren weder niedergeschlagen noch vertagt. Ich werde den Geschworenen heute vormittag einige Anweisungen geben, und dann führen wir den Prozeß ordentlich fort, bis wir zu einem Urteil gelangt sind.« Sie fing an, sich die Robe zuzu knöpfen, hielt dann inne. »Und noch eines - ich habe in den nächsten Wochen keine Lust, mir diesen Fall im Fernsehen anzusehen oder in den Zeitungen darüber zu lesen. Betrachten Sie dies als einen Maulkorberlaß. Mein Protokollführer wird Ihnen in der Beratungspause eine entsprechende schriftliche Anweisung aushändigen. Ich gehe davon aus, daß wir uns hierüber einig sind.«
»Meine Damen und Herren.«
Die Richterin war immer noch wütend - auf Powell wegen der Schludrigkeit seines Vorgehens, die ihrer Ansicht nach die erste Hälfte des Prozesses charakterisiert hatte, und auf Freeman aus mindestens einem halben Dutzend von Grün den: weil er die Frage der Verfahrenseinstellung verwischt hatte, gedroht hatte, Revision zu beantragen, Powell persön lich angegriffen hatte und damit an die Öffentlichkeit gegan gen war, in ihrem Gerichtssaal in einer Aufmachung er schien, die an einen obdachlosen Penner erinnerte. Hardy fragte sich, ob der Zorn der Richterin für die Jury und das Pu blikum ebenfalls derart offensichtlich war. Der Zuschauerraum war übrigens bis zum letzten Stehplatz gefüllt, zweifel los deshalb, weil Freeman im Fernsehen aufgetreten war und der gestrige Chronicle die Geschichte als
Weitere Kostenlose Bücher