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Das Urteil

Das Urteil

Titel: Das Urteil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John T. Lescroart
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es nicht getan hat.«
    Freeman bahnte sich den Weg durch die Tür. »Tja, immerhin ein Anfang.«
    »Vielleicht hat sie es nicht getan.«
    »Vielleicht«, pflichtete Freeman bei. »Andererseits vielleicht doch.« In dem leeren Gerichtssaal mit der hohen Decke hallte sogar Geflüster. Dismas Hardy und David Freeman saßen in der letzten Bankreihe auf einer langen, harten, kalten Bank aus hellem Holz. Freeman, die Beine übereinander geschlagen und eine nicht angezündete Zigarre im Mund, fing an, die Akte durchzublättern, zog Papiere und Hefter aus Hardys extrageräumiger Aktentasche hervor.
    »Es ist richtig ermutigend, sich mit Ihnen zu unterhalten. Hat man Ihnen das schon mal gesagt?«
    Freeman zuckte die Schultern, während er die Seiten überflog. »Meine Mandanten lieben mich. Warum? Ich haue sie raus. Gehe ich davon aus, daß sie schuldig sind? Scher ich mich drum? Wahrscheinlich ja - auf beide Fragen. In den meisten Fällen.«
    »In den meisten Fällen gehen Sie davon aus, daß sie schuldig sind?«
    Jetzt sah Freeman auf. »In den meisten Fällen sind sie schuldig, Diz. Unsere Aufgabe ist es, sie rauszuhauen, also versuche ich genau das.«
    »Na ja«, sagte Hardy, »ich jedenfalls verspüre mit einemmal sehr deutlich den Wunsch, ihr zu glauben. Sie war verzweifelt, in Tränen aufgelöst, wirklich am Ende.«
    »Wegen des Verlusts oder weil man sie erwischt hat?« Freeman schob einen Finger als Lesezeichen zwischen die Seiten. »Ich weiß, ich weiß, ich bin grausam und zynisch. Aber Tränen fließen aus allen möglichen Gründen, und nicht der unwichtigste davon ist Selbstmitleid. Und wenn jemand im Gefängnis sitzt, glauben Sie mir, dann tut er sich über kurz oder lang schrecklich leid. Es kann manche Leute ernstlich zur Verzweiflung bringen, ich habe das schon mitangesehen.« Er machte sich wieder an die Lektüre, blätterte ein paar Seiten um, hielt inne.
    »Sie ist eine attraktive Frau, stimmt's?«
    Hardy nickte.
    »Jung?«
    »Laut Akte achtundzwanzig.«
    »Achtundzwanzig ist jung, keine Frage. Darin stimmen Sie mir doch wohl zu.« Freeman selbst war vielleicht fünfundfünf zig. Hardy dachte bei sich, daß Freeman keinen Tag älter als achtzig aussah. »Na schön, sie ist also jung und eine attraktive Frau und in Tränen aufgelöst - selbstverständlich wollen Sie ihr glauben. Und raten Sie mal? Sie weiß, daß Sie ihr glauben wollen. Ob sie nun ihren Ehemännern diese schrecklichen Sachen angetan hat oder nicht, sie ist sich des Effekts bewußt, den Tränen auf einen normalen heißblütigen Mann wie Sie haben. Und dieser Effekt ist ... Sie wollen ihr glauben, wollen dafür sorgen, daß sie sich besser fühlt. Sie wollen vor allem, daß sie zu weinen aufhört, oder etwa nicht?«
    Freeman nahm die Zigarre aus dem Mund, spuckte ein Stückchen eines Tabakblatts aus, schob sich die Zigarre erneut zwischen die Lippen. »Und wenn wir schon mal dabei sind«, sagte er, »sagen Sie es mir ganz ehrlich. Dies hier ist meine ganz persönliche Meinungsumfrage. Hat sie's getan, ja oder nein?«
    »Ich weiß es nicht. Ich neige zu nein.«
    »Nein zu allen Anklagepunkten?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Bei welchem Punkt wissen Sie es nicht?«
    »Der Junge ... Matt. Und wenn sie ihn nicht erschossen hat, dann haut der ganze Rest nicht mehr hin, stimmt's?«
    »Sie glauben nicht, daß sie ihr Kind erschossen hat?«
    »Ich kann es mir einfach nicht vorstellen.«
    »Warum? Und kommen Sie mir nicht damit, daß sie Ihrer Meinung nach nicht der Typ dafür ist.«
    »Na schön, zwei Gründe«, sagte Hardy. »Erstens hat sie es nicht einfach abgestritten; ich hatte den Eindruck, sie schien regelrecht sprachlos, daß irgendwer überhaupt auf die Idee kommen konnte, sie hätte es getan. Sie wollte noch nicht mal darüber reden, David. Ich will damit sagen, sie hat so getan, als sei das alles ein sonderbarer Irrtum, der ausgeräumt würde. Und was das Umbringen ihres eigenen Sohnes angeht, wie konnte irgendwer nur so etwas glauben?«
    »Diz, Diz. Lassen Sie uns rein theoretisch einmal sagen, daß sie es getan hat. Und wenn sie es getan hat, dann wegen des Geldes von der Versicherung. Sind wir uns soweit einig? Prima. Na schön. Es ist eine riskante Sache, wenn man sich vornimmt, jemanden umzubringen. Die Leute tun es andauernd, aber die Leute, die es wegen des Geldes machen, sind eine Klasse für sich. Jennifer Witt faßt also kaltblütig den Beschluß, diese Sache durchzuziehen, dann wird sie es doch todsicher nicht zugeben. Sie geht

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