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Das Urteil

Das Urteil

Titel: Das Urteil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John T. Lescroart
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und streckte Hardy die Hand entgegen.
    »Sie sehen nicht gut aus, mein Sohn.«
    Daran hatte Hardy keinerlei Zweifel - er fühlte sich auch nicht gut. Er hatte während der ganzen Fahrt Schüttelfrost gehabt. Der dicke Nebel schien gegen jede Wärme oder sogar Licht zu isolieren. Hardy hatte die Autoheizung voll aufgedreht und das Gebläse angestellt, doch es hatte nichts genützt.
    »Leichte Grippe«, sagte Hardy. »Weiter nichts.«
    Stone, der Arzt, beauftragte den Butler, ihnen Tee mit viel Zitrone und Honig zu bringen. Er ließ Hardy in einem Clubsessel Platz nehmen und den Mantel ausziehen. Er bat um die Erlaubnis, ihn kurz untersuchen zu dürfen. Kein Honorar.
    »Bekommen Sie genug Schlaf? Sie sollten damit im Bett bleiben, wissen Sie das?«
    Durch die klappernden Zähne ließ Hardy ein schwaches Lachen hören. »Ich habe diese Woche meine acht Stunden Schlaf bekommen. Es geht mir bestens.«
    Stone besaß einen altmodischen schwarzen Ärztekoffer, stellte ihn auf den Boden und holte ein paar Gerätschaften heraus. Er hörte Hardys Brust ab, steckte ihm ein digitales Thermometer ins Ohr, sah ihm in die Ohren und in den Hals. »Jawoll, Sie haben eine Grippe.«
    Der Tee wurde gebracht, und Stone bereitete zwei Gläser vor. »Es muß demnach wichtig sein«, sagte er. »Sie sollten wirklich nicht draußen rumlaufen.«
    »Es ist wichtig«, sagte Hardy. Er zog sich den Mantel wieder an und wickelte sich fest darin ein.
    Stone saß ihm schräg gegenüber, war ganz Ohr. »Gestern abend sagten Sie, daß es um die BMG geht?«
    In der Annahme, daß Stone mit dem Hintergrund der Ge schichte vertraut war, gab Hardy die kurze Version wieder und schloß mit Larry Witts Sorge, was den kurzen Zeitraum und den Ton des Rundschreibens mit dem Angebot der Aktien zeichnung anbelangte.
    Als er fertig war, antwortete Stone nicht sofort. »Kennen Sie viele Ärzte, Mr. Hardy?«
    Hardy nickte. »Einige.«
    »Wissen Sie auch, wie viele Leute Ärzten etwas zu verkaufen versuchen ?« Er hob die Hand. »Nein, ich werde es Ihnen sagen. Nicht ein einziger Tag vergeht, ohne daß ein durch schnittlich erfolgreicher Arzt zehn Broschüren mit Aktientips erhält, zwei oder drei Anträge für Kreditkarten, Angebote für Kreditrahmen, was Sie wollen. Selbst wenn man die Mühe auf sich nimmt, die Post dazu zu bringen, diese Werbebriefe aus zusortieren, wird man noch damit überschwemmt. Glauben Sie mir, ich habe es versucht. Es ist jenseits jeder Kontrolle.«
    »Na schön.«
    »Na schön. Aber Sie scheinen zu glauben, daß eine knallige Aufmachung, eine erstklassige Broschüre einen Unterschied machen. Sie tun es nicht. Wir kriegen so was jeden Tag.
    Tatsächlich hat der Aufsichtsrat absichtlich beschlossen, lieber ein vorsichtig formuliertes Rundschreiben rauszuschicken als ein sensationelles. Wir wollten keine falschen Hoffnungen bezüglich der zukünftigen Erfolge der Gruppe nach der Umstrukturierung zu einem gewinnorientierten Unternehmen wecken. Es lag völlig im Bereich des Möglichen, daß wir alle zusammen hätten untergehen können. Keiner von uns - mit Sicherheit niemand aus dem Aufsichtsrat - hat PacRims Interesse oder den großen Profit vorhersehen können.«
    »Was ist mit dem kurzen Zeitraum, den Sie den Leuten ließen?«
    »So kurz war er gar nicht.« Stone lehnte sich zurück, ganz offensichtlich entspannt, und schlug die Beine übereinander. »Ärzte neigen dazu, ihre Nasen in Bücher zu stecken, Mr. Hardy. Sie können lesen. Aber wie alle anderen handeln sie oft erst dann, wenn sie handeln müssen. Also gibt man ihnen einen Termin, das bringt die Dinge ins Rollen. Außerdem vergessen Sie nicht, daß es sich um eine Höchstinvestition von zwanzig Dollar handelte. Zwanzig Dollar. Nicht gerade die Art von Entscheidung, die man mit seiner Frau oder seinem Anwalt durchdiskutieren muß. Es war eine Sache ohne Haken und Ösen, und jeder hatte eine Chance.«
    »Aber nicht jeder hat Aktien gekauft.«
    Stone zuckte die Schultern, nickte. »Wenn Sie darin einen konspirativen Akt sehen, befürchte ich, daß wir ab sofort getrennte Wege gehen müssen.«
    Es wäre leichter gewesen, wenn Stone auch nur das geringste Anzeichen gezeigt hätte, daß er sich in der Defensive befand, doch er saß so bequem in seinem Sessel, sprach so gemäßigt und, was am allerschlimmsten war, alles, was er sagte, klang einfach völlig einleuchtend.
    Hardy beugte sich vor. »Ali Singh sagte, daß nur dreißig Ärzte Anteile gekauft haben.«
    Stone stimmte ihm zu.

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