Das Urteil
geworden.
Er sah auf die geladene Schußwaffe in seiner Hand und wußte, daß sich genau auf diese Weise Unfälle im eigenen Heim ereigneten. Ein halbdunkles Haus, die Frau oder das Kind, die unerwartet hereinkam, während der Mann eine geladene Waffe in der Hand hielt und glaubte, jemanden gehört zu haben, der einzubrechen versuchte, jemanden, der einen Grund dafür haben könnte.
Er ging zurück in den Werkraum. Als er das verdammte Ding zurück in den Safe legte, kam ihm plötzlich ein neuer Ge danke. Die Knie wurden ihm weich. Nein, es war zu grotesk, um überhaupt in Betracht gezogen zu werden. Er mußte sich hinsetzen.
Larry hatte Matt schließlich doch geschlagen. Und zwar mehr als nur einmal. Vielleicht war Matt während des Streits hereingekommen und hatte für die Mutter Partei ergriffen, seinen Dad genervt, er solle seine Mom in Frieden lassen, und Larry hatte endgültig die Nerven verloren, als auch noch der Junge ankam und Ärger machte, und ihm die Pistole, die er in der Hand hielt, seitlich gegen den Kopf geschmettert. Und dann begriff er, was er getan hatte, daß er es nicht vertuschen oder gar ungeschehen machen konnte. Der Junge, vielleicht mit einem gebrochenen Kiefer, war der lebende Beweis für das, was aus Larry geworden war, wer er wirklich war. Seine Karriere wäre zu Ende, sein sorgfältig geordnetes, von A bis Z kontrolliertes Leben ... Und innerhalb von Sekundenbruchteilen, als Matt vor dem Badezimmer auf dem Boden lag und Jennifer ihn anflehte, doch aufzuhören, kam ihm die einzige Lösung in den Sinn. Jeden Beweis für das, was er getan hatte, zu zerstören. Eine Kugel würde jedes Zeichen dafür, daß er seinen Sohn jemals geschlagen hatte, auslöschen. Das würde ihm nie jemand nachsagen können.
Doch dann würde auch nichts mehr da sein, kein Grund, das eigene Leben fortzusetzen, also richtete er die Waffe auf sich selbst.
Aber bevor er es tut, dreht er sich noch zu Jennifer um und sagt: »Das ist alles deine Schuld.« Und da sie so ist, wie sie ist, glaubt sie ihm, in jenem Augenblick und auch noch später.
Hardy, der im Werkraum auf dem Boden saß, verfolgte diesen Gedanken bis zu Ende. Aber natürlich konnte es nicht so gewesen sein. Die Tatsache, daß die Waffe beseitigt worden war, schloß diese Möglichkeit aus.
Außer für den Fall, daß Jennifer sich für den Streit und alles, was ihn auslöste, wie immer selbst die Schuld gab, die Pistole selbst beseitigte und in den Müllcontainer warf. Auf diese Weise würde es nicht Larrys Fehler sein. Der wertvolle Ruf von Dr. Larry Witt wäre gerettet. Und sie - Jennifer -würde bekommen, was sie verdiente, weil sie damit angefangen hatte, weil sie so war, wie sie war.
Es war zu verdreht. Es konnte nicht so gewesen sein. Und dennoch paßte einiges davon ins Bild - Jennifers unbeirrbares Abstreiten, daß sie ihren Sohn und ihren Ehemann umgebracht hat. Und was noch erschreckender war, dachte er, es paßte zu ihrem Persönlichkeitsprofil - Selbsthaß, Schuldgefühle, der Wunsch nach Bestrafung. Denn in der Tat war ihr unmittelbares Gefühl, als alles vorbei war, die schuldbewußte Freude, daß Larry tot war. Sie hatte ihn gehaßt, hatte alles gehaßt, was er getan hatte. Auch wenn sie den Verlust von Matt schon physisch kaum ertragen konnte, verringerte das - in dieser ersten unmittelbaren Gefühlsaufwallung - nicht die noch stärkere Freude darüber, daß Larry nicht mehr am Leben war. Daß sie endlich frei von ihm war.
Und wenn sie sich gleich nach dem Verlust ihres Sohnes solchen Gefühlen hingeben konnte, dann mußte sie wirklich das Gefühl haben, daß sie seelenlos war und jede Bestrafung, die die Gesellschaft ihr auferlegte, verdiente. Ja, sie würde ihrerseits mithelfen. Sie hatte mitgeholfen. Sie tat es sich selbst an.
Hardy lehnte sich fiebernd an die Wand. So war es nicht gewesen. So konnte es nicht gewesen sein. Er hatte noch andere Ideen, denen er nachspüren mußte, und sie ergaben weit mehr Sinn. Er war im Fieberwahn.
»Du kannst heute nicht raus.«
Hardys Fieber hatte sich bei knapp unter 40° C eingependelt, was nur zur Hälfte dem Alter entsprach, nach dem er sich fühlte. Er trank gerade seine dritte Tasse schwarzen Kaffee und hatte sich dazu gezwungen, ein paar Happen Bauernfrühstück, Toast und Orangensaft runterzubringen. »Die Verabredung ist um neun. Ich muß hingehen. Mir bleiben nur noch drei Tage.«
Drei Tage, bis Villars, die dreizehnte Geschworene, endgültig ihre Entscheidung über das Urteil
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