Das Vampir-Pendel
nachgedacht, und letztlich war sie für sich auch zu einem Ergebnis gekommen.
Harte Erde konnte Stein sein.
Nach dem Feuer zu Stein geworden.
Es war kaum nachzuvollziehen, aber Milena glaubte plötzlich daran, daß ihre Ahnherrin nicht unbedingt restlos vernichtet sein mußte. Sie fing an, nach ihr zu forschen, doch Antwort kriegte sie nicht. Weder von ihrer Sippe noch von einer anderen. Man riet ihr sogar, die Finger davon zu lassen, denn alten Flüche sollten ruhen. Es war besser für alle Menschen.
Milena beschloß, sich danach zu richten. Allerdings nur nach außen hin, in ihrem Innern brannte die Flamme weiter. Milena war sicher, das Geheimnis lüften zu können.
Hilfe erhielt sie nach wie vor nicht. So blieb ihr nur die Hoffnung auf das große Treffen der Sippen, um dort etwas über Zunita in Erfahrung bringen zu können.
Der Name wollte ihr einfach nicht aus dem Kopf. Je mehr Zeit verstrich, um so stärker wuchs in ihr das Gefühl, daß Zunita und sie so etwas wie eine Seelenverwandtschaft verband. Sogar mehr als eine Verwandtschaft, aber was es war, konnte Milena nicht erklären.
Es kam anders, alles kam anders.
Und es passierte in der Nacht, als Milena in ihrem abgeteilten Raum des Wagens schlief. Sie war die jüngste der vier Kinder, die anderen drei – Jungen – hatten die Sippe längst verlassen und waren in Richtung Norden gewandert. Wie es hieß, sollten sie in einer Automobilfabrik Arbeit bekommen haben.
Ihre Eltern bewohnten den vorderen Teil des alten Wagens. Er hatte mal zu einem Zirkus gehört und war von ihm wegen seiner Schäbigkeit ausrangiert worden.
Das Fenster stand offen. Die Dunkelheit deckte auch das schäbige Innere des Wohnwagens ab, und Milena fühlte sich in ihrem Bett ziemlich wohl. Hier war der einzige Ort, an dem sie träumen konnte. In der Nacht ließ man sie in Ruhe, da hörte sie auch nicht das Geschrei ihrer Eltern, die unbedingt dafür sorgen wollten, daß Milena endlich einen Mann fand und ihn heiratete.
Sie wollte nicht. Sie hatte immer gedacht, daß ihr die Welt offen stünde, und nie hätte sie damit gerechnet, reumütig wieder in den Schoß der Sippe zurückzukehren.
Jetzt war es passiert, und die Freiheit fand sie nur noch in ihren Gedanken und Träumen.
Auf dem Platz war es still geworden. Um diese Zeit nach Mitternacht war niemand mehr unterwegs. Milena betrachtete den Mond, der sich am Himmel aufgebaut hatte, als wollte er ihr einen bleichen Gruß zuschicken. Sie spürte hinter ihren Augen den Druck, und sie merkte, wie ihr Herz schneller anfing zu klopfen, wie bei einem jungen Mädchen, das seinen Liebhaber erwartete. Sie wartete auf keinen Mann, obwohl sie an jedem Finger drei hätte haben können. Andere Dinge waren wichtiger im Leben, zum Beispiel das Geheimnis um Zunita.
Wieder schaute sie zum Mond hoch, und um ihre vollen Lippen zuckte es, als wäre sie dabei, den Erdtrabanten eine Botschaft zuzuflüstern.
Jemand war da.
Der oder die Unbekannte hatte sich dem Wagen lautlos genähert und schabte an dem Wohnwagen entlang. Milena hatte das Geräusch sehr genau gehört, es war keine Einbildung, und mit einer ruckartigen Bewegung richtete sie sich auf.
Ihr Kopf befand sich in Höhe des Fensters. Um hinausschauen zu können, mußte sie ihn nur drehen, was sie auch tat, aber noch sah sie nur wattige Finsternis.
Sie wollte sich weiter aufrichten und direkt aus dem Fenster schauen, als von der anderen Seite her ein Gesicht im Viereck erschien. Milena erschrak, aber sie beruhigte sich schnell, denn es war das Gesicht einer Frau und nicht das eines jungen Mannes, der mal eben bei ihr in den Wagen steigen wollte.
Die Frau legte einen ausgestreckten Finger auf ihre Lippen. Milena nickte. Sie war damit einverstanden, daß die Person Kontakt mit ihr aufnahm. Der Finger verschwand im Mund, und die Lippen kräuselten sich zu einem Lächeln.
Die junge Zigeunerin hatte plötzlich das Gefühl, als stünde sie direkt an einer Wende ihres Lebens. Sie konnte nicht sagen, warum es in ihr aufgestiegen war, aber die Gedanken brausten regelrecht über sie hinweg. Die fremde Frau war ihr noch nie zuvor begegnet, aber der Anblick des Gesichts mit den wilden Haaren darum flößte ihr Vertrauen und Respekt zugleich ein.
»Du bist Milena…?«
»Ja, ja, das bin ich!« stieß sie hervor. »Aber woher kennst du mich? Was willst du?«
»Ich habe dich beobachtet.«
»Wann? Heute nacht?«
»Nein, schon lange.«
Milena wußte nicht, was sie sagen sollte. Deshalb lachte
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