Das verborgene Feuer
erschreckend falsche Behauptung ließ sie die Stirn runzeln. »Das ist falsch – er ist ein niederträchtiger Vampir, der meinen Vater in seinesgleichen verwandelt und ihn gefoltert hat, um ihm Informationen zu entlocken. Danach ist er nach Texas geflogen, hat meine Großmutter attackiert, zwei Männer getötet, die mich beschützen sollten, und mich entführt, um sich meines Vaters wieder zu bemächtigen.«
Während dieser Darlegung lächelte Tom sie unbeeindruckt an. Als sie fertig war, lachte er nur. »Machen Sie sich keine Sorgen. Lorenzo ist ein anständiger Mann, der niemandem ein Haar krümmt.«
Sie runzelte die Brauen. »Haben Sie mich nicht sagen hören, dass er Menschen mordet und entführt und mich als Geisel hält?«
Tom schüttelte wiederum lächelnd den Kopf. »Machen Sie sich keine Sorgen. Lorenzo ist ein anständiger Mann, der niemandem ein Haar krümmt.«
Endlich begriff sie, dass Lorenzo oder einer seiner Lakaien das Gehirn ihres Gegenübers verändert haben musste. »Das ist schön. Wie war doch gleich Ihr Name?«
»Tom. Tom Sanders. Und Ihrer?«
»B – nett, Sie kennenzulernen, Renfield.«
Der junge Mann runzelte die Stirn. »Nein, ich heiße –«
»Hab schon verstanden, Tom.« Beatrice seufzte. »Gibt es hier eine Bibliothek?«
»Sicher – kommen Sie; ich zeige sie Ihnen gern.«
»Davon bin ich überzeugt.«
»Was möchten Sie lesen? Computer gibt es auch, falls Sie die benutzen möchten.«
»Computer?« Sie spitzte die Ohren angesichts der Möglichkeit, mit der Außenwelt Kontakt aufzunehmen.
»Um online zu gehen, braucht man ein Passwort. Ich hab eins, darf es den Gästen aber nicht geben.« Seine angespannten Schultern vermittelten Beatrice, dass sie sich auf heiklem Terrain bewegten.
»Kein Problem.« Sie zuckte die Achseln. »Ich lese sowieso lieber. Was für Arbeiten erledigen Sie denn für Lorenzo, Tom?«
Er entspannte sich angesichts ihrer einfachen Frage. »Ich mache die Buchhaltung. Keine große Sache. Bloß Dinge, die er aufgrund seines Handicaps nicht erledigen kann.«
Ach?
»Also weil er einen Computer bloß zu berühren braucht, damit die Sicherung herausfliegt?«
»Ja«, erwiderte er leise vor sich hin lachend. »So in der Art.«
Beatrice nickte und beschloss, ihn im Auge zu behalten. Falls Lorenzo in technologischen Dingen so unbedarft war, wie Giovanni und Carwyn annahmen, warum hatte er dann in seinem Schlupfwinkel einen Finanzexperten mit Zugang zum Internet?
Sie betraten eine dunkel getäfelte Bibliothek.
Endlich einmal nicht mehr von Weiß umgeben holte Beatrice tief Luft. Der Geruch von Ledereinbänden und altem Papier wirkte sofort beruhigend auf sie.
»Wenn Sie mich bitte entschuldigen würden«, sagte Tom. »Ich habe zu tun.«
»Gern – stört es Sie, wenn ich hier lese?«
»Aber nein. Und nehmen Sie ruhig Bücher mit auf Ihr Zimmer, wenn Sie mögen.«
Sie musterte die Möbel, die stärker als die kühlen, modernen Linien, die das übrige Anwesen prägten, an ein englisches Gutshaus gemahnten. Die warmen Farben erinnerten sie an Giovannis Bibliothek, und doch runzelte sie die Stirn und wandte sich den Regalen zu.
»Nein, mir gefällt die warme Atmosphäre hier.« Lächelnd begann sie, die Sammlung zu inspizieren, behielt dabei aber den jungen Mann und seinen Bildschirm im Auge.
Die nächsten zwei Wochen verbrachte sie in der Bibliothek. Oder jedenfalls kam es ihr so vor, denn bald hatte sie das Zeitgefühl in der fremden, unwirklichen Welt von Lorenzos Haushalt weitgehend verloren. Sie erwachte morgens, schlüpfte in ihre weißen Sachen, ging in die getäfelte Bibliothek und saß dort mit Tom. Sie verbrachte möglichst viel Zeit inmitten der Bücher, und grimmige Befriedigung überkam sie, als sie schließlich herausfand, was Tom tat.
Er überwies für Lorenzo Geld auf ausländische Konten, nachdem er es auf ziemlich laienhafte Weise gewaschen hatte. All das war viel zu plump, um klappen zu können. Die ungeschickten Manipulationen des jungen Mannes brachten Beatrice fast zum Lachen, aber schließlich wurde ihr Gehirn – anders als seines – nicht jeden Abend durch die Mangel gedreht.
Als sie sich endlich auf die lärmenden Partys wagte, die Lorenzo jeden Abend in seinem Anwesen über den Klippen gab, war Tom der einzige Mensch, den sie dort kannte.
Bei diesen Festen kommandierte Lorenzo seine Männer wie ein moderner Kriegsherr. Die Musik war laut, die Beleuchtung gedämpft, und das Blut floss in Strömen. Mehr als einmal sah sie, wie
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