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Das verborgene Netz

Das verborgene Netz

Titel: Das verborgene Netz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bottini
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führen schien und erst unmittelbar davor eine scharfe Kurve beschrieb. Hinter der Biegung bemerkte sie Treppen, zehn Meter über dem Straßenniveau lag ein kleines Haus. Sie stellte den Wagen ab, gönnte sich einen Moment der Erinnerung. Kirchzarten keine fünf Kilometer entfernt, nicht viel weiter südlich das Große Tal, von dem aus sie mit Thomas Ilic die Flanke des Rappenecks hochgestiegen war – der heiße Sommer 2003 . Am Anfang hatte eine kleine Scheune gebrannt, am Ende hatten mehrere Menschen ihr Leben gelassen.
    Und Illi so traumatisiert, dass er für Monate krankgeschrieben war und sich mittlerweile in den Vorruhestand hatte versetzen lassen.
    Wieder ein Vertrauter weniger.
    Viele alte Kollegen fort, viele neue gekommen, und da lag das Problem: Sie fand es zunehmend schwerer, sich an neue zu gewöhnen.
    Sie stieg aus. Im Haus brannte Licht, alle Fenster waren erleuchtet. Die Stufen glitschig, im schwachen Schein einer fernen Straßenlaterne nahm sie sie vorsichtig und rekapitulierte dabei, was sie über Esther Graf wusste.
    Allzu viel war es nicht.
    Vom Treppenabsatz führte ein gepflasterter Weg zum
Haus. Neben der Tür lehnte ein gelber Regenschirm, auf dem Klingelschild stand nur der Nachname. Sie läutete, hörte jenseits der Tür Schritte, dann eine verunsichert klingende Frauenstimme.
    Sie leierte ihr Sprüchlein herunter.
    Die Tür ging auf, eine dunkelblonde Frau erschien. Anfang dreißig, die Haare nach hinten gebunden, schlank, vielleicht eins dreiundsechzig, durchaus hübsch, doch das Gesicht wirkte blass und erschöpft.
    Ein Blick in die reglosen Augen, die in dunklen Höhlen lagen, genügte, und Louise wusste Bescheid. Auch hier stimmte vieles nicht, fehlte etwas.
     
    Sie kam bis in den Flur. Nachdem Esther Graf die Haustür geschlossen hatte, blieb sie stehen und sagte: »Was möchten Sie wissen?«
    »Würde ich gern im Sitzen mit Ihnen besprechen.«
    »Geht es um Berlin?«
    »Ja.«
    »Aber ich habe Ihren Kollegen doch schon … «
    »Ich weiß.«
    Schweigend musterten sie sich. Die eine wartete auf Fragen, die andere darauf, dass sie ins Wohnzimmer geführt wurde. Louise unterdrückte ein Lächeln. Ein Patt.
    Der Flur war schmal, die Decke niedrig, es roch nach Backofenhitze und angebranntem Teig. Eine Tür führte zur Küche, eine zu einem Zimmer, beide waren geöffnet. An der Garderobe hingen, achtlos übereinandergeworfen, Blazer, zwei, drei Mäntel, Schals. Darunter ein Durcheinander von Schuhen, auf einer Stufe der Treppe ins obere Stockwerk ein Haufen Schmutzwäsche.
    »Ich bin nicht auf … Besuch vorbereitet.«
    »Schon in Ordnung. Bei mir sieht’s nicht anders aus.«
    »Ich glaube nicht, dass ich Ihnen weiterhelfen kann.«
    »Dauert nur ein paar Minuten. Darf ich?« Louise zog den Anorak aus, hängte ihn über einen dunkelblauen Mantel an die Garderobe.
    Esther Graf seufzte. »Na gut, kommen Sie.«
     
    Das Wohnzimmer glich einer dunklen Höhle, ein Albtraum für jeden Klaustrophobiker. An zwei Wänden standen schwarzbraune Bücherregale, die restlichen Möbel hatten den gleichen Ton. Mahagoni, aber vermutlich nur die Farbe, das Material sah nach IKEA aus. Vor den beiden Fenstern rotblau gemusterte Vorhänge, die vor jeglichen Blicken von draußen abschirmten.
    Esther Graf deutete auf einen Sessel, setzte sich selbst auf das Sofa. Zwischen ihnen, gleichsam als Barriere, stand der Couchtisch mit den Resten einer Abendmahlzeit: rotes Plastikset, ein Teller mit den Rändern einer Tiefkühlpizza, ein halb gefülltes Rotweinglas, eine zerknüllte Stoffserviette, daneben eine Fernbedienung. Esther Graf nahm sie, machte den stumm geschalteten Fernseher aus und fragte erneut: »Was möchten Sie wissen?«
    »Im Grunde dasselbe wie meine Kollegen in Berlin.«
    »Aber es gibt doch sicher einen … «
    »Einen Bericht? Gibt es.« Louise lächelte.
    Esther Graf sah auf die Fernbedienung in ihrer Hand, dann gab sie den Widerstand auf und erzählte, was Louise schon wusste, kein Wort mehr, keines weniger.
    »Was genau meinen Sie mit ›Tumult‹?«
    »Geräusche einer Rauferei. Schläge, Stöhnen, einen unterdrückten Schrei. Schnelle Schritte.«
    Louise nickte.
    »Und später normale Schritte, dann war jemand im Nebenzimmer.«
    »Wie lange?«
    »Ich weiß es nicht, ich habe mich nach ein paar Minuten wieder hingelegt.«
    »Da waren von nebenan noch Geräusche zu hören?«
    »Ja.«
    »Was für Geräusche?«
    »Nichts Ungewöhnliches. Geräusche wie aus jedem Hotelzimmer. Dann wurde das Zimmer

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