Das verbotene Eden 02 - Logan & Gwen
geistigem Auge. Groß, durchtrainiert, düster. Ein Mann, der ganz alleine über Land zog und Nachrichten von Ort zu Ort brachte.
Diese Wanderer waren lebende Legenden. Gunnars Augen hatten immer geleuchtet, wenn er ihm von ihnen erzählt hatte. Wie sie alleine durch die Welt reisten, Wind und Wetter trotzten und nur von dem lebten, was sie am Wegesrand fanden. Harte Männer, deren einziger Zweck darin bestand, den Menschen Botschaft aus anderen Teilen der Welt zu bringen.
Früher, vor dem Zusammenbruch, hatte es sie noch nicht gegeben. Es gab andere Mittel, um miteinander zu sprechen. Dinge, unter denen sich heute kaum noch einer etwas vorstellen konnte und die so seltsame Namen trugen wie
Radio, Fernsehen
und
Internet.
Bei einem Krug Bier wurde viel darüber spekuliert, aber niemand schien wirklich darüber Bescheid zu wissen. Geschweige denn, dass er in der Lage war, sie in Betrieb zu nehmen. Hin und wieder fand man solche Geräte in den alten Ruinen. Sein Vater hatte ein paar gesammelt, doch sie waren alle tot. Nicht eines, das auch nur den leisesten Mucks von sich gegeben hätte. Ihnen allen war gemein, dass sie über ein äußerst kompliziertes Innenleben verfügten. Stecknadelkopfgroße Bausteine, Schalttafeln mit glitzernden Mustern und jede Menge bunte Kabel. Warum sie nicht funktionierten, schien mit einer Sache zu tun zu haben, die Gunnar
Strom
oder
Elektrizität
nannte. Eine unsichtbare Kraft, die äußerst gefährlich gewesen sein musste. So ziemlich alles hatte man damals damit betrieben, selbst große Maschinen. Als dieser Strom ausfiel, brach die Welt zusammen. Sie hörte einfach auf zu leben, genau wie ein Körper, den man ausbluten ließ. Da niemand in der Lage war, diesen Strom wieder zum Laufen zu bringen, verlor man das Interesse daran. Wie an so vielen Dingen, deren Sinn im Nebel der Geschichte verlorengegangen war. Na ja, und dann kamen die Wanderer. Sie waren die neuen Boten. Sie brachten Nachrichten aus anderen Teilen der Welt und unterhielten die Menschen mit ihren Geschichten. Doch seit einigen Jahren waren sie so gut wie ausgestorben. Davon zu hören, dass ein solcher Mann kürzlich hier durchgekommen sein sollte, versetzte Logan in Aufregung.
»Wusstest du das etwa nicht?« Cedric musterte ihn aufmerksam.
»Nein, woher?«
»Es ist noch nicht mal einen Monat her, da erschien dieser Kerl bei uns und bat um etwas Wasser und Brot. Er erzählte, er käme aus dem Westen. Sein Mantel war lang und zerschlissen. Er hatte abgelaufene Stiefel, und auf seinem Stab war eine Unzahl Symbole eingekerbt. Anfangs konnten wir ihn kaum verstehen. Seine Sprache war seltsam, so, als habe er Schwierigkeiten, sich an bestimmte Worte zu erinnern. Ich vermute, die Anstrengungen der Reise und die Einsamkeit hatten ihn etwas seltsam im Kopf werden lassen. Er verlangte, mit meinem Vater zu sprechen, aber ich konnte sie belauschen. Was er erzählte, klang interessant. Er sprach von einem Ort, an dem Männer und Frauen in Einklang zusammenlebten. Er nannte ihn
die Zuflucht,
wobei ich nicht verstand, ob er nur von einem oder von vielen Orten sprach. Er redete davon, dass die
Krankheit
– er verwendete diesen Begriff mehr als einmal – aufgehört habe zu existieren und dass die Dunklen Jahre vorüber seien.«
»Was?«
»Ja genau. Er berichtete von Landstrichen in der Nähe eines großen Meeres, wo wieder Friede und Harmonie eingekehrt sei. Angeblich sei es sogar möglich, Familien zu gründen und Nachwuchs zu zeugen. Kannst du dir das vorstellen?«
»Nicht wirklich.«
Eine Krankheit? Davon hörte Logan zum ersten Mal. Ein Husten, eine Grippe, schwarzes Fieber – das sind Krankheiten. Entweder sie heilen ab, oder man stirbt daran. Aber eine Krankheit, die Männer und Frauen auseinandertreibt? Das klang in seinen Ohren etwas zu abenteuerlich.
Cedric lächelte. »Tröste dich, ich habe es auch nicht geglaubt. Andererseits war das, was er erzählte, so plastisch und anschaulich, dass ich irgendwann zu der Überzeugung gelangte, dass er diese Orte tatsächlich gesehen hat. Warum hätte er meinem Vater eine solche Lügengeschichte auftischen sollen? Als Bezahlung für gute Unterhaltung? Eine Schüssel Suppe und eine gebratene Ratte hätte er in jedem Fall bekommen. Fasziniert lauschte ich weiter. Er berichtete, er habe jetzt Quartier in der Himmelskerze bezogen, oben im Rundbau.«
»In der Himmelskerze, tatsächlich?« Logan kannte das Gebäude aus Erzählungen und natürlich, weil es immer am Horizont zu
Weitere Kostenlose Bücher