Das verbotene Land 2 - Drachensohn
Schultern und Rücken der Umstehenden niederhagelten.
Nem wurde in Ruhe gelassen. Die vielen Gesichter verschwanden. Nem starrte zum blauen Himmel auf, wo nun ein düsteres Männergesicht mit kalten, leidenschaftslosen Augen auftauchte. Der Mann baute sich mit dem Stab in der Hand über Nem auf, um abzuwarten, ob die Menge einen zweiten Versuch machen wollte, ihn anzugreifen. Offenbar war allen die Lust dazu vergangen. Wieder schlug jemand vor, den Sheriff zu holen, und andere rannten mit eben dieser Absicht los. Die übrigen wichen zurück, obwohl immer noch einzelne »Höllenbrut!« riefen. Und die ganze Zeit schnappte der Hund weiter knurrend und geifernd nach Nems Bein.
Der Mann legte seinen Stab griffbereit auf den Boden. Während er mit einem Auge Nem, mit dem anderen die Menge im Blick behielt, packte er den Hund, zwang seine Kiefer auseinander, bis das aufgebrachte Tier von dem Kind abließ, und schleuderte ihn zur Seite. Keuchend blieb der Hund stehen und überlegte, ob er einen zweiten Angriff wagen sollte. Der Mann hob den Stab. Da lief der Besitzer herbei, schnappte sich den Hund und trug das zappelnde Tier davon.
Nem richtete sich auf.
Der Mann senkte den Stab und legte eine Hand auf Nems Bein.
»Bleib liegen«, sagte er mit leiser, ruhiger Stimme. »Niemand wird dir etwas tun.«
Nem wusste es besser. Er wusste, was geschehen würde, und da hatte er sogar Recht. Sie konnten seine monströsen Beine sehen. Man hielt ihn für einen Dämonen oder gar für den Teufel persönlich. Die Rufe nach einem Priester wurden lauter. Jemand schlug vor, ihn auf der Stelle zu erschlagen.
»Hier!«, rief ein Mann. »Hier kommt eine Nonne!«
»Rette uns, Schwester!«, kreischte eine hysterische Frau und fiel auf die Knie. »Errette uns vor dem Satan!«
Der schwarze Stoff des Schwesternschleiers wurde vom Wind angehoben. Mit fest gefalteten Händen und eindringlichem Blick kam sie auf Nem zu.
»Ich sagte, lieg still!«, befahl der Mann. Seine Stimme war wie ein Peitschenknall. Sein Griff um Nems Bein wurde fester. Dem Kind blieb keine Wahl. »Sehen wir uns die Wunde genauer an.«
Der Mann hockte sich so hin, dass die Menge Nems Bein besser sehen konnte. Das aufgeregte Gemurmel verwandelte sich in Befremden. Diejenigen, die Nem umstanden, schüttelten entgeistert den Kopf.
Nem schaute selbst sein Bein an. Er sah Fleisch, rosa Fleisch, das vom Biss der Bulldogge zerrissen war. Das Blut, das aus der Wunde sickerte, durchtränkte die Fetzen seiner wollenen Hose.
Der Mann mit dem Stab hob ihn auf und wandte sich der Menge zu.
»Geht weiter«, forderte er die Menschen mit freundlicher Stimme auf. »Der Junge ist nicht allzu schwer verletzt, wie man sieht. Die Vorstellung ist vorüber. Hier gibt es kein Dämonenkind. Geht rüber zu den Artisten. Angeblich gibt es dort einen Feuerspucker.«
»Ich habe es mit eigenen Augen gesehen«, beharrte ein Mann, der nur noch drei Zähne besaß. »Er hatte Echsenbeine. Mit Schuppen darauf.«
»Schwester, seht Euch das an!«, rief ein anderer. Doch die Nonne war verschwunden. Jemand schlug vor, den Jungen auszuziehen, um ganz sicherzugehen.
Nems Retter griff in seine Börse, zog ein paar Münzen heraus und warf sie auf den Boden.
»Du bist betrunken, Väterchen, aber nicht betrunken genug, wie mir scheint«, sagte er immer noch leutselig. »Nimm das Geld und gib dir den Rest. Hier, sieh doch: Was ist das? Fleisch und Blut und Knochen. Fass es an, wenn du mir nicht glaubst.«
Der alte Mann war störrisch genug, der Aufforderung Folge zu leisten. Unter den Augen der Umstehenden bohrte er seinen knochigen Finger in Nems Bein. Dann sammelte er brummelnd eine Münze auf und zog ab. Nachdem der Wortführer verschwunden war, balgten sich die anderen auf dem Boden um die Münzen. Der Mob, der zusammengelaufen war, verschwand in Richtung der Bierzelte oder kehrte zur Arena zurück.
»Wir sollten dich lieber in der Abtei verbinden lassen«, meinte der Mann. Er sammelte den zerbissenen Stiefel auf, steckte ihn in seinen Gürtel und hob Nem wieder hoch.
»Nein!«, keuchte der Junge. »Nicht in die Abtei!«
»Still«, knurrte der Mann ihm ins Ohr. »Wir sind noch nicht außer Gefahr. Überlass das Reden mir.«
Mit starken Armen legte er sich den Jungen über die Schulter und schritt auf den Rand des Marktgeländes zu.
»Herr«, flehte Nem, »wenn Ihr mich einfach nur nach Hause bringen könntet.«
»Ruhe«, befahl der Mann.
Nem hielt den Mund, allerdings eher weil er viel zu
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