Das verbotene Land 2 - Drachensohn
los zu sein.
»Komm näher, Drachensohn, damit ich dich besser sehen kann«, forderte Grald ihn mürrisch auf. »Dieser Menschenkörper, den ich mir angeeignet habe, taugt für vieles, aber er ist nicht in der Lage, im Dunkeln zu sehen. Offenbar hast du diese Fähigkeit jedoch von mir geerbt. Das freut mich.«
»Ich will nicht mit dir reden, Grald«, beharrte Nem, während er vor den Mann trat. »Ich will mit meinem Vater sprechen.«
»Du sprichst mit deinem Vater«, gab Grald zurück. »Der Mensch ist nur mein Mund. Die Worte und die Gedanken sind meine. Das verstehst du nicht? Ich will es dir erklären. Du kennst doch den Zweibeiner, Drakonas.«
Nem glaubte, der Drache wolle das Thema wechseln. Er überlegte, ob er darauf bestehen sollte, seinen Vater zu sehen. Doch er entschied sich dagegen – vorläufig. Daher nickte er kurz.
»Drakonas hat Menschengestalt angenommen, so wie ich. Aber für diese wundersame, mächtige Illusion mussten viele Drachen monatelang zusammenarbeiten. Ich hatte nicht so viele Drachenträume zur Verfügung. Aber ich brauche einen Menschenkörper. Ich habe eine Methode gefunden, einen Menschenkörper zu benutzen, indem ich ihm auf magische Weise das noch klopfende Herz entrissen habe. Die lebenden Überreste werden dann eingesperrt. Ich erhalte sie am Leben, bis die natürliche Alterung dem wahren Körper so sehr zusetzt, dass ich einen neuen finden muss. Der Körper ist nur eine Hülle, mehr nicht. Der Geist«, Grald deutete auf seinen Kopf, »gehört mir. Was sagst du dazu, mein Sohn? Schockiert es dich? Stößt es dich ab?«
»Ich schätze, Grald, dessen Herz du gestohlen hast, hat wohl bekommen, was er verdiente«, antwortete Nem.
Grald lachte. »Wie der Vater, so der Sohn, sagen die Menschen. Wir denken in ähnlichen Bahnen.« Er winkte abfällig. »Du verkriechst dich in den Tiefen deines Geistes. Ich sitze in meiner dunklen Halle. Aber ich kann dich ebenso sehen wie du mich, mein Sohn.«
Grald machte es sich auf dem Stuhl bequem und streckte die langen Beine aus. »Richtig, du hast deine Verteidigung. Schutzmechanismen, die du über sechzehn Jahre hinweg aufgebaut hast. Pah! Was bedeutet das schon für mich? Ich kann sechzehn Jahre schlafen, doch für mich ist das nur ein Augenblick. Wenn ich wollte, könnte ich deinen kläglichen Schutz niederreißen, in deine Höhle greifen und dir die Seele herausreißen. So leicht wie ich mir dieses Menschenherz genommen habe.«
»Warum tust du es dann nicht?«
»Weil es dich vernichten würde. Und ich will dich nicht vernichten. Du bist mein Sohn. Dich erwartet ein großes Schicksal. Setz dich.« Grald wies auf einen anderen Stuhl. »Wir haben viel zu bereden.«
»Ich stehe lieber«, wehrte Nem ab. »Meine Drachenbeine werden nicht so leicht müde.«
»Ich erkenne einen Hauch Bitterkeit in deiner Stimme.« Grald setzte sich auf. Seine Augen musterten den jungen Mann sehr eindringlich. »Bitterkeit ist nicht nötig, mein Sohn. Du solltest frohlocken. Du bist besser als jeder Mensch, der je geboren wurde. Besser, stärker, schneller, klüger. Du hast die Magie unserer Art geerbt, eine Macht, nach der die Menschen hungern, doch wenn sie sie erhalten …«, Grald hielt inne.
»… bringt es sie um den Verstand«, beendete Nem den Satz. Jetzt begriff er, was die Mönche verrückt machte.
»Nur die Männer«, räumte Grald ein. »Die Frauen leiden an einer fieberhaften Schwäche, die bald vorübergeht. Wir arbeiten an unserem Zuchtprogramm, um diese Probleme zu überwinden. Es gibt Fortschritte, aber leider nicht im erwünschten Maße. Nicht so, wie Drakonas sie bei deinem Menschenbruder erzielt hat.«
Es klang wie eine beiläufige Bemerkung, aber Nem sah, dass Gralds Augen unter der vorspringenden Stirn leuchteten. »Ich will deinen Bruder finden. Ich glaube, du kannst mir dabei helfen.«
»Ich habe erst heute Morgen erfahren, dass ich einen Bruder habe.« Nem zuckte mit den Schultern. Einen Augenblick wunderte er sich, wieso Grald von einem »Menschenbruder« gesprochen hatte, doch dann achtete er nicht weiter darauf. »Woher soll ich wissen, wo er steckt?«
Grald kniff die Augen zusammen. »Du weißt es.«
»Im Gegensatz zu dir . Offenbar weiß auch mein Bruder sich zu schützen.«
»Du kannst ihn erreichen. Auf dich wird er hören. Rufe ihn hierher. Er wird kommen.«
»Und dann? Willst du ihm die Seele herausreißen? Oder vielleicht das Herz? Mach deine Drecksarbeit alleine, Grald. Halt mich da raus.« Nem wandte sich zum
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