Das verbotene Reich: Thriller (German Edition)
sonst nirgendwo.« Die Stimme blieb leise, als bedauerte Sokolov tatsächlich, dass er diese Entdeckung gemacht hatte.
»Mit Ihrem Sohn ist bestimmt alles in Ordnung.«
»Woher wissen Sie das?«
»Sie sind zu wertvoll. Tang weiß, dass der Junge bei Verhandlungen mit Ihnen seine einzige Trumpfkarte ist.«
»Zumindest bis Tang das weiß, was ich weiß.«
»Haben Sie es ihm erzählt?«
»Einen Teil. Aber nicht alles.«
Er dachte an den Abscheu, den der Russe im Flugzeug geäußert hatte, und fühlte sich genötigt zu sagen: »Wir sind nicht alle wie Karl Tang.«
Sokolov blickte zum ersten Mal auf. »Nein. Aber ihr seid alle Chinesen. Das ist schlimm genug.«
Tang ging Batangs einzige Straße entlang und stellte fest, dass hier noch immer Tristesse herrschte: langweilige Gebäude und schattenlose Gassen, durch die der Staub fegte. An den Straßenrändern fuhren Holzkarren, und ein paar Lastwagen standen in merkwürdigen Winkeln geparkt. Zwei Gebetsmühlen quietschten bei jeder Umdrehung und ließen Glocken läuten. Ein riesiger Mastiff schoss aus einer der Gassen und wurde auf den Rücken gerissen, als er am Ende des Haltestricks an seinem Halsband ankam. Der Hund stand auf und stürzte wieder los, scheinbar entschlossen, den Strick entweder zu dehnen oder zu zerreißen.
Tang betrachtete das bellende Tier.
Ein paar Meter entfernt hing ein Gong an Lederriemen von zwei Balken herab. Bald würde er den Beginn des neuen Tages verkünden.
Ein kleines Hotel, halb verfallen, mit angelehnten Türen und verdreckten Wänden, wartete auf Gäste. Auch da hatte sich wenig verändert.
Der Hund bellte weiter.
»Wecken Sie den Hotelier«, befahl er Viktor.
Tang wusste, dass es vor Tagesanbruch unklug wäre, sich ins Gebirge hinauszuwagen. Die Pfade waren unsicher und von Felsrutschen bedroht. Als ein Dunstschleier sich verzog, tauchten im heller werdenden Licht allmählich die fernen Berggipfel auf.
Nun würde es nicht mehr lange dauern.
Ni hatte keine Angst mehr. Das Innere von Qin Shis Grab, ein unterirdischer Ort, von dessen Existenz niemand etwas wusste, hatte Tang die perfekte Gelegenheit geboten, ihn zu töten. Doch hier, vor all diesen Zeugen, schien das nicht in Frage zu kommen. Nicht einmal der Erste Vize-Generalsekretär könnte das geheim halten. Stattdessen würde man sie, wie ihm klar wurde, an einen abgelegenen Ort bringen, und das G eräusch näherkommender Rotoren zeigte, dass seine Schlu ssfolgerung korrekt gewesen war.
Sokolov reagierte ebenfalls auf das Geräusch.
»Wir fliegen dahin, wo Ihr Sohn ist«, sagte Ni.
»Woher wissen Sie das?«
»Tang braucht uns beide lebend. Mich nur für kurze Zeit. Sie viel länger. Er wird Sie also mit dem Jungen zusammenbringen, um Sie versöhnlich zu stimmen.«
»Sie haben keine Angst?«
»Ich habe mehr Angst davor zu versagen.«
Sokolov schien zu verstehen. »Was ist mit Malone und Vitt?«
»Ich fürchte, dass deren Situation viel schlimmer ist.«
70
Malone hörte, wie die Rotoren des Helikopters sich erst schneller drehten und dann in der Ferne verklangen. Der Hubschrauber war nur ein paar Minuten geblieben, vermutlich gerade lange genug, um Ni und Sokolov einzuladen.
»Jetzt sind wir an der Reihe«, sagte er zu Cassiopeia.
Beide saßen noch immer auf dem Boden.
»Aber man wird uns nicht wegfliegen«, erwiderte sie.
»Vielleicht schon. Nur wird unsere Landung ein wenig anders aussehen.«
Sie waren Ausländer, die illegal im Land waren, Spione, die keiner vermissen würde und um die keiner sich scherte. Das war eines dieser Berufsrisiken seines ehemaligen Jobs.
Er musste es nicht sagen. Sie wusste es. Sie würden die erstbeste Gelegenheit nutzen, die sich bot. Denn sie hatten buchstäblich nichts zu verlieren.
Ein metallisches Klirren zeigte an, dass die Stahltür entriegelt wurde. Cassiopeia wollte aufstehen, doch er legte ihr die Hand aufs Knie und schüttelte den Kopf. Sie blieb sitzen.
Die Tür ging auf, und der Polizeikommandant von zuvor trat mit einer Pistole bewaffnet herein. Er sah nicht gerade glücklich aus.
»Harte Nacht?«, fragte Malone.
Er fragte sich, ob der Mann ihn verstand. Aber hier war nicht Peking oder das östliche China, wo viele Leute Englisch konnten. Hier war der Arsch der Welt. Der Mann bedeutete ihnen durch Gesten, aufzustehen und den Raum zu verlassen. Vor der Tür warteten zwei weitere Männer mit Sturmgewehren.
Malone sah sie sich an. Beide waren jung, unsicher und furchtbar nervös. Wie oft waren sie schon
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