Das verbotene Reich: Thriller (German Edition)
über die Stimmen Bescheid, die sich gegen seine Ernennung erhoben hatten. Viele wollten keinen Militärangehörigen in einer Position, in der er jedem nach Belieben auf den Zahn fühlen konnte. Man hatte sich Sorgen gemacht, dass das Militär dadurch an Macht gewinnen würde.
Aber er hatte die selbsternannten Experten widerlegt.
»Woher wollen Sie denn wissen, dass die Entscheidung schwierig war?«
»Weil der Generalsekretär und ich uns ausführlich darüber unterhalten haben.«
10
Provinz Shaanxi, China
Tang forderte den Direktor auf, im Gebäude der Grube 3 zu bleiben, aber oben zu warten, um dafür zu sorgen, dass niemand ihn störte. Nicht, dass er eine Störung befürchtete. Er war der zweitmächtigste Mann Chinas – wenn auch Ni Yong inzwischen von gewissen Kräften ärgerlicherweise auf dieselbe Stufe befördert wurde.
Er war gegen Nis Ernennung gewesen, aber der Parteigeneralsekretär hatte alle Einwände mit der Begründung beiseitegewischt, Ni Yong sei ein charakterstarker Mann, der seine Machtfülle mit Vernunft zu zügeln wisse. Schenkte man den Berichten Glauben, hatte Ni genau das auch getan.
Aber Ni war ein Konfuzianer.
Daran gab es keinen Zweifel.
Tang war ein Legalist.
Diese beiden Richtungen definierten die chinesische Politik seit beinahe dreitausend Jahren. Jeder Kaiser hatte entweder das eine oder das andere Etikett verpasst bekommen. Mao hatte für sich beansprucht, diese Dichotomie aufgelöst zu haben, denn bei der Volksrevolution gehe es nicht um Etiketten. Doch in Wirklichkeit hatte sich nichts geändert. Wie viele Kaiser zuvor hatte die Partei konfuzianische Menschlichkeit gepredigt und dabei die gnadenlose Macht der Legalisten ausgeübt.
Etiketten.
Sie waren problematisch.
Aber sie konnten sich auch als nützlich erweisen.
Er hoffte, dass die nächsten Minuten entscheidend helfen würden, welches Ende dieses Spektrums bei seinem bevorstehenden Kampf mit Ni Yong die entscheidende Rolle spielen würde.
Er trat durch den improvisierten Eingang.
Der feuchtkalte Raum dahinter war vor Jahrhunderten ausgehoben und mit Lehm und Steinen ummauert worden. Inzwischen hatte man elektrisches Licht installiert, um die etwa fünf mal fünf Meter große Kammer auszuleuchten. Die Stille, das Alter des Raums und Schichten von Ruß machten, dass er sich wie ein Eindringling fühlte, der in eine altehrwürdige Grabkammer einstieg.
»Das hier ist bemerkenswert«, sagte der Mann, der sich im Inneren des Raums befand, zu ihm.
Tang brauchte eine korrekte Einschätzung, und dieser drahtige Akademiker mit dem fliehenden Kinn konnte sie ihm liefern.
Auf drei mit einer dichten Staubschicht bedeckten Steintischen lag etwas, das aussah wie brüchiges, braunes Baumlaub.
Er wusste, was das war.
Ein Schatz von Seidentüchern, die mit kaum erkennbaren Schriftzeichen und Zeichnungen versehen waren.
Auf anderen Stapeln lagen zusammengebundene Bambustäfelchen. Jedes war mit Schriftzeichen bedeckt. Papier hatte es noch nicht gegeben, als diese Gedanken festgehalten worden waren – und in China hatte man nie Papyrus verwendet, sondern nur Seide und Holz. Das war ein Glück, da beides Jahrhunderte überdauerte.
»Ist das Qin Shis verschollene Bibliothek?«, fragte Tang.
Der andere Mann nickte. »Ich denke schon. Hier liegen Hunderte von Manuskripten. Sie handeln von allem Erdenklichen: Philosophie, Politik, Medizin, Astronomie, Technik, Militärstrategie, Mathematik, Kartografie, Musik und sogar vom Bogenschießen und der Reiterei. Dies hier könnte durchaus der größte Wissensfund aus der Zeit des Ersten Kaisers sein.«
Tang wusste, was diese Behauptung bedeutete. 1975 waren mehr als tausend Bambustäfelchen aus der Zeit der Qin-Dynastie entdeckt worden. Historiker hatten sie zu einem ganz außergewöhnlichen Fund erklärt, doch spätere Untersuchungen hatten Zweifel an ihrer Echtheit geweckt. Schließlich stellte man fest, dass die meisten Täfelchen aus einer Zeit nach Qin Shi stammten und von späteren Dynastien verfälscht worden waren. Der Schatz, der vor Tang lag, hatte dagegen jahrhundertelang nur einen Kilometer vom Grab des Ersten Kaisers entfernt geruht. Er war Teil seines großartigen Mausoleums gewesen und wurde von seiner ewigen Armee bewacht.
»Das Verblüffende ist, dass ich sie lesen kann«, sagte Tangs Experte.
Tang wusste die Bedeutung dieser Aussage einzuschätzen. Der Sturz einer Herrscherdynastie wurde immer als Entzug des Mandats des Himmels betrachtet. Um einen etwaigen
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