Das Verbrechen: Kommissarin Lunds 1. Fall
Straße am Stadtrand. Bei der Festung Kastellet. Weit weg von jeder der Adressen, die sie überprüft hatten.
»Haben Sie die Quittung?«
»Klar. Man kommt in Teufels Küche, wenn man keine hat.«
Frevert zog einen Packen Zettel aus der Tasche seines abgetragenen Anzugs.
»Die war’s, glaub ich. Am Bahnhof Ryparken ist sie eingestiegen. Hier.« Er zeigte auf die Quittung. »Beginn der Fahrt 22 Uhr 27, Ende 22 Uhr 45.«
»Und was war, als Sie in der Grønningen angekommen waren?«
»Sie ist ausgestiegen. Ich hatte dann gleich einen neuen Fahrgast. Musste gar nicht erst wieder weg. Freitags ist immer viel los.«
Er kratzte sich im schütteren blonden Haar.
»Wir sind allerdings nicht direkt dorthin gefahren. Ich musste zwischendurch mal halten. Kommt selten vor bei jungen Leuten. Die haben nicht das Geld.«
»Und wo war das?«
»In der Vester Voldgade. Hinter dem Rathaus.«
Meyer schloss stöhnend die Augen.
»Was ist dort passiert?«, fragte Lund.
»Sie ist ausgestiegen und hat gesagt, ich soll warten. Normalerweise mach ich das nicht. Die hauen dann einfach ab. Aber das war ein nettes Mädchen. Nicht betrunken oder sonst was.«
»Was wollte sie denn im Rathaus?«
»Das hat sie nicht gesagt. Ein paar Minuten war sie drin.«
»Haben Sie jemanden mit ihr zusammen gesehen?«
»Nein. Sie ist wieder rausgekommen, und wir sind in die Grønningen weitergefahren. Aber ich will Ihnen hier nicht die Zeit stehlen. Ich kann nicht beschwören, dass sie’s war.« Er warf noch einmal einen Blick auf die Fotos. »Kann sein, aber …«
»Danke.«
Sie gab ihm die Hand, winkte Svendsen herein, der draußen im Flur auf und ab ging, und bat ihn, ein Protokoll aufzunehmen. Dann saßen sie allein im Büro.
»In der Gegend gibt’s eine Menge Hotels«, sagte Lund.
»Die haben wir alle überprüft.«
»Dann überprüft sie nochmal. Fragt nach, ob sie einen Politiker gesehen haben. Ob jemand aus dem Rathaus in der Nähe wohnt. Um die Pförtner kümmerst du dich?«
Er verkrampfte sich, wurde wütend. Sah sie nicht an.
»Klar doch.«
»Sie ist mit dem Taxi von Kemal zum Rathaus gefahren«, fuhr Lund fort.
»Der Fahrer ist sich aber nicht sicher, ob sie’s war.«
Lund wollte nicht mit ihm streiten. Meyer hatte Angst um seinen Job. War vermutlich hin und her gerissen. Zwischen dem, was er für richtig hielt, und dem, was er für opportun hielt. Opportun für sich selbst.
»Ich hab einen Termin«, sagte sie, stand auf, nahm ihre Jacke. »Ruf mich an, wenn du was hörst.«
Rie Skovgaard hatte über Nacht ihre Fühler in Richtung Parlament ausgestreckt. Hartmanns Verhältnis zum Innenminister war nach wie vor gut.
»Das Problem ist der Ministerpräsident. Du bist ihm zu ehrgeizig. Stiehlst ihm die Schau. Er denkt, du wirst ihm gefährlich, wenn du Bremer aus dem Feld schlägst.«
Hartmann hörte kopfschüttelnd zu.
»Davon kann doch gar keine Rede sein. Jedenfalls nicht für die nächsten vier Jahre.«
Morten Weber las die Morgenzeitungen.
»Zumindest in den Umfragen halten wir uns. Niemand hat den Quatsch mit dem Mädchen geglaubt.«
»Es genügt, wenn wir den Innenminister ins Boot kriegen.«
»Das geht nur, wenn der Ministerpräsident es zulässt«, sagte Skovgaard. »Er könnte dich immer noch abschießen.«
»Das ist doch lächerlich. Wir sind in derselben Partei. Und die unterstützen Bremer?«
Sie lächelte ihn an.
»Spuck’s aus«, sagte er.
»Es gibt eine Möglichkeit. Der Ministerpräsident steht im Moment nicht allzu gut da. Er hätte gern, dass was von deinem Erfolg auf ihn abfärbt.«
Hartmann war einen Moment ratlos. Skovgaard und Weber schwammen so mühelos in diesen trüben Gewässern.
»Worauf willst hinaus?«
»Er hat das Thema Integration nie richtig angepackt. Wir könnten sagen, sein Büro hätte uns bei der Ausarbeitung unseres Programms unterstützt. Bei unserem Integrationsprojekt. Einigen der Schulprojekte …«
Hartmann lachte auf.
»Kommt nicht in Frage. Das war unsere Idee. Die waren strikt dagegen.«
»Vergiss, was damals war, Troels. Wenn wir ihnen die Lorbeeren überlassen …«
»Wofür?«
»Egal wofür. Hauptsache, wir bekommen ihre Unterstützung.«
»Das wäre eine Lüge!«
Weber wiegte den Kopf hin und her.
»Lüge – ein sehr starkes Wort. Das ist Politik. Was wahr ist … was nicht wahr ist – nach einer Weile ist das nicht mehr so wichtig.«
»Was ist dann wichtig?«
»Was funktioniert«, sagte Weber und sah ihn an wie einen Einfaltspinsel.
»Nein.
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