Das Verbrechen: Kommissarin Lunds 1. Fall
vorhin einen Anruf bekommen. Die Polizei wollte ihn abholen, aber er war nicht da. Stokke lebt allein. Seit der Anhörung gestern hat ihn niemand mehr gesehen.«
Er machte eine Pause.
»Dein Hauptzeuge hat sich gerade verkrümelt, Troels. Was machen wir jetzt?«
»Ihn suchen«, sagte Hartmann.
Skovgaard verließ das Büro, ging an ihren Schreibtisch und tätigte die ersten Anrufe.
»Gar nicht so leicht, einen Mann zu finden, der nicht gefunden werden möchte«, sagte Weber.
»Das Überwachungsband.«
»Was ist damit?«
»Krieg raus, wer es der Polizei geschickt hat.«
Er holte sein Jackett, kam herüber und tippte Weber auf die Brust.
»Das ist was für dich. Für niemanden sonst.«
Lund und Meyer fuhren nach Humleby. Skærbæk war zu einem Geschäft für Dachdeckerbedarf gefahren. Sie sahen sich das Haus an. Eingerüstet. Neue Fensterrahmen, neue Türen. Frisch gestrichene Fassade. Holz und Glas, das demnächst verbaut werden sollte.
»Ist Birk Larsen da drin?«, fragte Lund einen der Männer in roten Latzhosen.
Meyer erkundigte sich gerade, wie die Gegenüberstellung lief. Lund ging durch die offene halbfertige Tür und über die ausgelegten Planen und suchte sich vorsichtig ihren Weg zwischen Gipsplatten und Eimern, Werkzeug und Bohrerschachteln. Birk Larsen war in dem Raum, der das Wohnzimmer werden sollte. Große Fenster. Wenn erst einmal die Folien nicht mehr vor den Fenstern waren, würde es ein lichtdurchfluteter Raum sein. Birk Larsen stand auf einer Trittleiter und arbeitete an der Decke.
»Die Klingel funktioniert nicht«, sagte Lund.
Sie sah sich um.
»Ich hätte ein paar Fragen zu Vagn.«
Er holte tief Luft, stieg von der Leiter, nahm einen Eimer, ging auf die andere Seite des Raums. Lund folgte ihm.
»Was genau hat er an dem Wochenende gemacht, Theis? Als er sich ums Geschäft gekümmert hat?«
Birk Larsen stellte ein paar Spanplatten an die Wand, holte ein Universalmesser hervor, schob die Klinge heraus.
»Sie sind Freitagabend abgereist, unmittelbar nachdem Nanna zu der Schulfete gefahren war. Hatten Sie das alles so geplant?«
»Nein. Warum stellen Sie immer wieder dieselben Fragen?«
»Weil wir immer wieder dieselben Antworten kriegen. Wann stand fest, dass Sie wegfahren würden?«
»Am Abend davor. Da hat Pernilles Mutter angerufen und uns das Sommerhaus angeboten.«
»Haben Sie irgendwann am Wochenende mit Vagn gesprochen?«
»Am Samstag wollte ich nicht angerufen werden. Das war ein arbeitsfreier Tag. Am Sonntag gab’s ein Problem mit einer Hebebühne. Da haben wir miteinander geredet.«
»Wie oft?«
Er antwortete nicht, sondern stellte nur noch ein paar Spanplatten um.
»Ist Ihnen sein Verhältnis zu Nanna irgendwann seltsam vorgekommen?«
Das saß. Er kam herüber, baute sich vor ihr auf.
»Ich kenne Vagn seit über zwanzig Jahren. Sein Vater hat ihn verlassen. Seine Mutter hat sich zu Tode gesoffen. Er war immer unser Freund. Spielt keine Rolle, was für absurde Geschichten Sie hier anbringen. Da scheiß ich drauf. Ist das klar?«
Er ging zur Tür, hielt sie auf. Lund blieb auf der Schwelle stehen. »Einer von Ihren Leuten hat an dem Tag Nanna und Amir zusammen gesehen. Der wusste als Einziger, dass sie durchbrennen wollten. Ich muss wissen, ob das Vagn war.«
»Raus!«, sagte er und zeigte mit dem Daumen auf den trüben Tag draußen. »Ich hab nichts mehr zu sagen.«
Auf der Vordertreppe drehte sie sich um. Schaute ihm ins versteinerte, stoppelige Gesicht.
»Vagns Mutter hat sich nicht zu Tode getrunken. Sie ist bei der Geburt gestorben. Bei seiner.«
»Hauen Sie ab …«
»Theis!«
Er schlug ihr die halbfertige Tür vor der Nase zu. Lund bückte sich zum Briefkastenschlitz hinunter und schrie hinein: »Er hat Sie angelogen. Denken Sie da mal drüber nach.«
Den gekrümmten Flur im Ostflügel entlang. Der Raum für die Gegenüberstellungen hatte Einwegscheiben bis zum Boden. Drinnen ein Podest. Draußen Stühle und Tische. Die Anwältin, die Birk Larsen engagiert hatte, stand mit Lund und Meyer zusammen. Amir ging vor der Scheibe auf und ab und musterte die sechs Männer, die alle die gleiche Khaki-Uniform und eine Nummer um den Hals trugen.
»Erkennen Sie einen wieder?«, fragte Lund.
»Ich weiß nicht. Ich hab ihn ja nur eine Sekunde lang gesehen.«
»Lassen Sie sich Zeit. Sehen Sie genau hin. Überlegen Sie, was Sie gesehen haben. Ob Sie sich an sein Gesicht erinnern können.«
Amir rückte seine schwere Brille zurecht, ging näher an die Scheibe
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