Das verlorene Kind
so, daß
er sich nicht zu wehren versuchte. Er mußte im Wagen Platz nehmen, der
eine Gendarm setzte sich neben ihn, während der andere die Braunen
lenkte. Das erfüllte ihn mit Wut und Zorn. Er knirschte mit den Zähnen,
suchte seine gebundenen Hände zu verbergen, indem er sie gegen seinen
Leib preßte und seinen Oberkörper tief darüberneigte. Er blickte unter
der gesenkten Stirn hervor nach allen Seiten, ob ihn niemand sähe. Doch
der Wagen war schnell ins Freie gelangt, rollte den Weg nach Treuen zu.
Nun wandte er seine zornigen Blicke nicht von dem Gendarmen, der auf
dem Kutschbock saß und die Pferde lenkte, während er im Wagen sitzen
mußte, mit gebundenen Händen. Ein Gefühl bitterer Feindschaft stieg in
ihm auf gegen die Gendarmen, gegen die Pferde, die sich so leicht von
einem anderen lenken ließen, gegen den Wagen sogar, auf dessen Boden er
mit den Füßen stampfen wollte, aber er verbarg seine Feindschaft und
seine Wut, heimlich drückte er nur mit großer Kraft seinen rechten Fuß
gegen das Holz, als könne er ihm so wehe tun. Trotzig und feindselig
sah er nun die Gegend der Heimat wieder, der sie sich inzwischen
genähert hatten, die breite Chaussee, von der sie in den Forst
einbogen, dann den Teich, die Wiesen und Felder, an deren Ende die
Domäne mit ihren Häusern, und dann schließlich den Hof, auf den sie
ratternd einfuhren, am Brunnen endlich haltend. Von weitem hatte er
wohl Gestalten im Hofe bemerkt, doch jetzt war alles leer, niemand zu
sehen, nicht der Herr, nicht die Mutter. Sie stiegen alle drei vom
Wagen, die Gendarmen nahmen ihre Mützen ab und wischten sich den
Schweiß von der Stirn. Die Hitze war noch drückender geworden, seit der
Himmel von weichen, weißen und grauen Wolken tief überzogen war; heißer
Dunst lagerte in der Luft. Der Gendarm, der kutschiert hatte, rückte
Mütze und Uniform wieder zurecht und schritt mit abgemessenen Schritten
ins Wohnhaus, wo der Kommissar ihn erwartete. Fritz, unter der
Bewachung des zweiten Gendarmen am Wagen stehend, riß verstohlen an den
Stricken um seine Hände, doch er sagte nichts, fragte nichts. Nach
einer Weile trat der Kommissar mit dem Gendarmen aus der Tür des
Wohnhauses und ging geradewegs auf die Scheune Nummer vier zu. Der
Gendarm winkte ihnen, zu folgen.
»Also vorwärts«, sagte der Begleiter zu Fritz. Fritz rührte
sich nicht. Er wandte nur den Kopf nach den Pferden zurück, die
schweißtriefend noch vor dem Wagen standen. Sie hätten mit Stroh
abgetrocknet werden und etwas frisches Heu für den Durst bekommen
müssen. Aber ihm hatte man ja die Hände gebunden, und die Gendarmen
dachten nicht daran. Er fühlte Verachtung gegen sie und im voraus auch
gegen den Kommissar. »Na, geh doch«, drängte der Gendarm, und langsam
setzte sich Fritz in Bewegung. Der Gendarm ließ ihn vorschriftsmäßig
drei Schritt vorausgehen, und in diesem kleinen Zug gelangten sie zur
Scheune. Das verschlossene Tor, vor dem Tag und Nacht eine Wache
patrouillierte, war inzwischen geöffnet worden. Die Flügel waren aber
nicht ganz zurückgeschlagen, sondern standen in einem rechten Winkel
nach vorn und bildeten eine Gasse, die in den dunklen Raum führte.
Unter dem Bogen des Tores, zwischen Licht und Dämmerung, waren der
Kommissar und der zweite Gendarm aufgestellt und erwarteten Fritz. Der
Kommissar, selbst im Dunkeln stehend, richtete den Blick scharf auf das
beleuchtete Gesicht des langsam näherkommenden Jungen und auf seinen
Gang. Doch konnte er nicht das leiseste, selbst unbewußte Zögern in
seinen Schritten bemerken, die auf die Unglücksstätte zulenkten, kein
Zucken oder Verändern des Gesichtes. Mit Trotz, aber völlig offen und
klar richtete Fritz den Blick gegen ihn. Stumm blieben sie voreinander
stehen. Der Gendarm stand stramm und grüßte. Noch immer schwieg der
Kommissar und sah Fritz an. Doch der blieb geduldig und still, kein
Wort, keine voreilige oder verräterische Frage entschlüpfte ihm. Lässig
hielt er die gebundenen Hände vor sich hin und blickte ruhig in die
Dämmerung der Scheune hinein. Endlich fragte der Kommissar und hob den
Bogen eines Protokolls, den er in der rechten Hand gehalten hatte,
empor: »Sie sind Fritz Karl Martin Schütt?«
»Jawohl«, sagte Fritz und mußte lachen, als er seine vielen
Namen hörte.
»Geboren am fünften Dezember 18 . . . in G.?«
»Das kann wohl sein, wenn es da steht«, erwiderte Fritz.
»Lassen Sie solche Scherze,«
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