Das verlorene Kind
Wirtshaus hatte er von dem Gendarmen die Neuigkeit
erfahren. Er wartete, bis alle aßen, dann sagte er plötzlich und
richtete dabei seinen stechenden Blick voll auf den in Frieden essenden
Fritz: »Na, Fritz, siehst du wohl, nun haben sie die Anna doch
gefunden.«
Fritz ließ den Löffel fallen, riß seine Augen aus dem
funkelnden Blick des Herrn los und sah zum Fenster hinaus. Noch hatte
er die Worte selbst nicht begriffen, doch jener böse Blick überwältigte
ihn. Noch nie hatte ihn jemand so angesehen. Plötzlich ward die ganze
Welt ihm zum Feind in diesem einen Blick. Die Welt, die ihn bisher so
gütig geborgen und getragen hatte, ihn, den frühen Feind der Welt.
Entsetzen und Furcht überfielen ihn zum ersten Male. Sein Gesicht
erbleichte zu einer fahlen Maske seiner selbst. Der Glanz der Augen,
die Jugend war wie fortgewischt, seine Kiefer stießen klappernd
aneinander. Schweiß tropfte von seiner Stirn und feuchtete seine Hände.
Dann kamen ihm langsam die Worte des Herrn wieder ins Gedächtnis. Sein
Blut strömte zurück, die Kräfte zum Kampf erwachten in ihm. Er lehnte
sich langsam in den Stuhl zurück und vergrub herausfordernd die Hände
in den Taschen. Ruhig und voll richtete er den Blick auf den Herrn, der
den seinen senkte. Nach einer Weile aber schnellte der Herr den Blick
wieder hoch und fragte: »Wie groß war denn die Anna, Fritz?«
Fritz sagte: »Oh, sehr groß war die nicht«, und lachte.
»Warum ißt du nicht?«
»Es ist so heiß, ich habe keinen Hunger.«
»So, du hast keinen Hunger?«
Die andern blickten bei diesen Worten auf und sahen auf Fritz,
der nun seinen Löffel wieder ergriff und aß. Nach dem Essen verrichtete
er noch seine Arbeit, dann ging er in die Knechtekammer und legte sich
da in sein Bett, so verstört und verschüchtert hatte ihn der Blick des
Herrn. Doch als die andern kamen und um ihn her in tiefen Atemzügen zu
schlafen begannen, hielt es ihn doch nicht, er nahm seine Kleider,
schlich sich hinunter und legte sich auf einen halb mit Heu beladenen
Wagen, der neben den Ställen stand, denn er wagte auch nicht, in den
Pferdestall zu gehen. Die Nacht war heiß und hell, die Sterne
funkelten. Fritz sah sie über sich stehen, sie glichen den böse
funkelnden Augen des Herrn, die ihn erschreckt hatten. Er richtete sich
auf, wer wollte etwas von ihm? Plötzlich fiel ihm sein Geld ein, der
ersparte Lohn, den er im Pferdestall vergraben hatte. Er sprang vom
Wagen, schlüpfte vorsichtig in den Stall, mit den Händen schaufelte er
die kleine Grube auf, in der das Geld lag, es war wohl da gut verwahrt,
aber vielleicht fanden sie es auch, und er nahm es auf und knüpfte es
seitwärts in den unteren Saum seines Hemdes. Dann ging er wieder zurück
zum Wagen, wühlte sich tief in das heiße, betäubend duftende Heu ein
und schlief, bis ihn in der Morgendämmerung der feuchte Tau erweckte.
Um sieben Uhr, nach dem Frühstück, fuhr er den leeren Lastwagen hinaus
ins Moor. Er ließ wie immer die Pferde durch die Gassen sausen, stand
breitbeinig auf dem Bock und hielt lose die Zügel. Auf der Heide half
er die Torfstücke verladen. Er arbeitete flink, pfiff vor sich hin.
Alles war wie immer. Er erschrak auch nicht, als er nach ein paar
Stunden den Herrn kommen sah mit zwei Gendarmen. Sie gingen geradewegs
auf ihn zu, und der eine Gendarm zog ein kleines schwarzes Heft
zwischen zwei blanken Knöpfen seiner Uniform hervor, schlug es auf und
fragte: »Sind Sie Fritz Schütt?«
»Jawohl«, sagte er.
»Dann kommen Sie mit uns«, sagte der Gendarm.
Fritz sah auf den Herrn: »Ich kann doch nicht so von der
Arbeit fort.« Der Schultheiß schwieg und sah ihn nur mit seinen
stechenden Augen an. Doch der Gendarm lachte: »Komm nur, mein Junge, da
ist die Arbeit ganz egal.«
Dieser Ausspruch verwirrte Fritz sehr. Zögernd ließ er die
Torfstücke, die er eben im Schwung vom Boden aufgehoben hatte, wieder
fallen und folgte langsam den Gendarmen. Auf dem Hauptplatz sah er mit
Staunen den Treuener Wagen stehen mit den beiden Braunen, die er so oft
gelenkt hatte. Er trat zu den Tieren, klopfte ihnen die Hälse,
schnalzte leise, wobei sie ihn erkannten, die Ohren bewegten und
freudig wieherten. Er nahm die Zügel in die Hand, wog sie liebkosend
auf und nieder. Aber der Gendarm zog plötzlich einen dicken Strick
unter dem Sitz hervor und band ihm die Hände. Die bösen Augen des
Schultheißen ruhten triumphierend auf ihm. Das erschreckte ihn
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