Das verlorene Land
eine Maus ansieht.
»Ich bin eine ganze Weile abgetrieben worden«, erzählte Yusuf. Beim Reden verlor er allmählich seine Nervosität. Die Männer schienen sich für seine Geschichte zu interessieren. Er nahm einen weiteren Schluck Wasser aus der Flasche, die Jukic ihm zugeworfen hatte.
Immer wieder musste er zu den Überresten der Verschwundenen schauen und fragte sich dabei, ob ihnen wohl bewusst gewesen war, dass sie starben. Hatte Gott sie alle auf einen Schlag ausgelöscht, oder hat er einen nach dem anderen getötet, so dass sie mitbekamen, was für ein schlimmes Schicksal sie ereilte? Das war die bevorzugte Taktik von Captain Kono gewesen. Sofort bereute er, dass er sich diese Gedanken erlaubt hatte. Es war sicherlich blasphemisch, Allah mit einem Tier wie Kono zu vergleichen. Yusuf spürte seinen Herzschlag unangenehm heftig im Brustkorb, und er merkte, dass ihm der Schweiß auf die Stirn trat.
Özal schien seinen Zustand zu bemerken und nickte verständnisvoll. »Sprich weiter, mein Junge.«
»Die Straßen dort waren alle überflutet«, sagte Yusuf. »Es sah aus, als wäre der Fluss über das Ufer getreten und würde auch nicht mehr zurückweichen. Ich hatte keine Waffe und wusste auch nicht, wo ich war, aber ich wusste, dass sich das Lager des Emirs in der Nähe des großen Parks in der Mitte befand.«
»Wie konntest du denn durch die Straßen laufen, wenn sie überflutet waren?«, fragte Jukic.
»Manchmal musste ich schwimmen, manchmal hielt ich mich an etwas fest, das vorbeitrieb. Aber da waren sehr viele Autos und andere Fahrzeuge, die die Straßen
blockierten, viele waren unter der Wasseroberfläche. Sehr oft habe ich mir an den Beinen wehgetan.«
»Hast du dort irgendwelche Männer gesehen?«, fragte der Anführer der Piraten. »Russen oder Serben?«
Yusuf schüttelte heftig den Kopf.
»Dort nicht, nein. Dort war keine Menschenseele zu sehen. Es ist viel zu gefährlich da. Ein- oder zweimal wurde ich angegriffen, meine Beine wurden von irgendwas unter dem Wasser festgehalten, das ich nicht sehen konnte. Ich war froh, dass es nicht geregnet hat und das Wasser nicht zu schnell floss oder anstieg, denn dann wäre ich bestimmt ertrunken. Ich kam nur sehr langsam voran, manchmal musste ich von einem Gebäude zum nächsten schwimmen, durch Fenster hindurch zum Beispiel, oder ich habe mich von einem Versteck zum nächsten bewegt, damit man mich nicht entdeckt. Mitunter kam ich schneller voran, wenn ich über verkeilte Wracks von Lastwagen oder über herumliegende Container kletterte. Da waren sehr viele Schiffscontainer, manche schwammen sogar herum. Von einem wurde ich beinahe zerquetscht, als ich über eine Kreuzung schwimmen wollte.«
Alle Männer nickten, keiner unterbrach ihn.
»Sprich weiter«, forderte Özal ihn auf. »Erzähl ihnen, wie du den ersten Slawen getroffen hast.«
Yusuf atmete langsam aus. Die Erinnerung belastete ihn immer noch.
»Ich schwamm zwischen zwei Häuserreihen hindurch und bekam wieder festen Boden unter die Füße. Es war nicht irgendein Hindernis, sondern tatsächlich die Straße.«
»Du bist da einfach so lang geschwommen?«, sagte Jukic ungläubig.
»Ich hab mich an einer Plastikflasche festgehalten, an einer sehr großen Plastikflasche, sie war groß und leer.«
Der Europäer schien mit dieser Erklärung zufrieden zu sein.
»Ich war müde. Mir kam es vor, als wäre ich schon stundenlang so geschwommen. Dann sah ich ein Parkhaus, so eins, in dem die Ungläubigen ihre Autos übereinanderstapeln. Das Wasser reichte nur bis auf halbe Höhe des Büros. Darauf bin ich zugeschwommen. Ich wollte in den zweiten Stock steigen, um mich dort im Trocknen auszuruhen. Manchmal findet man an solchen Orten in alten Automaten etwas zu essen. Manches davon ist noch genießbar, wenn man aufpasst.«
»Jedenfalls dann, wenn die Hunde und die Ratten es sich nicht geholt haben«, warf jemand ein.
»Es war schon spät, abends, aber noch nicht nachts, vielleicht eine Stunde vor Sonnenuntergang. Ich war sehr müde, und vermutlich hat mich das gerettet. Ich planschte nicht herum und machte keine Geräusche. Durch das große Tor schwamm ich auf das Treppenhaus zu. Als ich dort ankam, zog ich mich aus dem Wasser und legte mich erschöpft auf die Stufen. Nach ein paar Minuten hörte ich von oben ein Geräusch, das wie Schnarchen klang. Zuerst wusste ich nicht, was ich tun sollte. Ich konnte ja nicht einfach wieder wegschwimmen, dann würden sie mich vielleicht bemerken. Im Gegensatz
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