Das verlorene Land
Sofia tagsüber immer wieder über die Wangen gelaufen waren. Seine Tränen fühlten sich wie kostbare Perlen an, Perlen, die wie Säure brannten. Sie brannten genau so, wie er brannte.
Er würde trauern, aber er würde auch Rache nehmen.
14
New York
Gewissenhafte Hautpflege und ein kleiner Verlust von Würde retteten Julianne das Leben. Ihre Hände litten sehr unter der harten Arbeit, obwohl sie schwere Arbeitshandschuhe trug. Auf einen Rat von Jenny Jannsen, einer der anderen Frauen in ihrer Truppe, hatte sie sich ein Glas mit Vaseline und ein Paar Vinyl-Handschuhe besorgt. Bevor sie sich schlafen legte, rieb Jules sich die trockenen und aufgesprungenen Hände, die bei jeder Berührung schmerzten, dick mit dem Fett ein. Sie ging so gewissenhaft vor, dass ihre Hände bald schon so schmierig waren, dass es nicht mehr möglich war, die Handschuhe anzuziehen, ohne die Vaseline auf ihr Bettzeug zu schmieren. Irgendwie musste es trotzdem gehen, und nach einigem Ziehen und Quetschen waren die Dinger an ihren Händen und sie bereit, ins Bett zu gehen.
Aber kaum lag sie im Bett, begann ihre Nase zu laufen.
»Oh, verflixt«, sagte sie gereizt.
Sie zog ein Papiertuch aus dem Kästchen auf dem Nachtschränkchen, putzte sich die Nase und legte sich ein zweites, frisches Tuch griffbereit neben sich aufs Bett. Auf keinen Fall wollte sie auf einem mit Rotze verschmierten Kissen schlafen und morgens wie ein mit Zuckerguss beschmierter Donut aufwachen.
Sie löschte das Licht und streckte sich aus, die heißen, behandschuhten Hände rechts und links auf die Matratze gelegt. Nach einigen Minuten auf dem Rücken drehte sie sich zur Seite. Sofort spürte sie einen heftigen Schmerz im
rechten Auge, richtete sich erschrocken auf und blinzelte in die Dunkelheit.
Ein Zipfel dieses dämlichen Papiertuchs war ihr ins Auge gekommen.
»Gottverdammte Höllenscheiße!«, schrie sie auf und blinzelte heftig, um das Ding in ihrem Auge wieder loszuwerden, aber sie erreichte genau das Gegenteil. Die Ecke des Kleenex-Tuchs rutschte nur noch tiefer unter ihr Augenlid.
Sie versuchte, das Papiertuch zu fassen, aber ihre Hände waren so ungeschickt, weil das Fett und die Handschuhe sie behinderten, dass sie stattdessen nur die Vaseline ins Auge rieb. Sie fluchte vor sich hin und versuchte es nochmal. Wie sie dabei aussah, konnte sie sich nur ausmalen. Sie saß in ihrem Bett, trug ein rosafarbenes Teletubby-T-Shirt, ihr Pony stand zu Berge, und sie zerrte mit ihren Plastikhandschuhhänden panisch an einem Kleenex, das unter ihr Augenlid geraten war. Sie blinzelte wie wahnsinnig und stieß wütende Flüche aus.
»Gottverdammte Dreckshöllenscheiße!«
Das passte nicht gerade zu ihrem Bild von der Königin der Sieben Meere, das sie als Kommandantin der »Aussie Rules« abgegeben hatte. Sie warf die Nachttischlampe um, als sie im Dunkeln danach tastete, versuchte aus dem Bett zu steigen, rutschte mit ihren glitschigen Händen am Kleiderschrank ab und fiel zu Boden. Fluchend kam sie auf die Beine, taumelte ins Badezimmer, schaltete das Licht ein und starrte in ein Gesicht mit schrecklich geröteten Augen.
Danach dauerte es ziemlich lange, bis sie wieder zur Ruhe kam, sicherlich mindestens eine Stunde. Eine Zeit lang schaute sie durch das schmutzverschmierte Fenster auf die Skyline von Manhattan, die größtenteils im Dunkeln lag. Nur der schwache Glanz des silbrigen Monds lag auf den leeren, hier und da ausgebrannten Hochhäusern. Das Aufflackern von abgefeuerter Leuchtmunition war in der
Ferne zu erkennen, aber sie konnte nicht herausfinden, von wo genau es kam. Nachdem sie sich beruhigt hatte, legte sie sich wieder ins Bett und horchte auf das heftige Artilleriefeuer, das von Govenor’s Island herüberdröhnte und sie an fernes Donnergrollen erinnerte. Ihre gereizten und entzündeten Augen fielen zu, und sie erinnerte sich an eine Party, die kürzlich auf dem Dach eines Nachbargebäudes stattgefunden hatte. Rhino, Manny und eine Gruppe privater Sicherheitsleute hatten um einen Grill gesessen, Zigarren geraucht und teuren Bourbon getrunken, während leuchtende Artilleriegeschosse durch die Wolken zischten und ganz kurz aufblitzten, bevor sie ihren Weg Richtung Ziel fortsetzten. Dutzende verschiedener Helikopter röhrten durch die Nacht, aber Julianne fiel dennoch endlich in einen tiefen Schlaf und verlor sich in ihren Träumen.
Sie hörte den Wecker nicht und erwachte erst, als Rhino gegen die Tür hämmerte.
»Auf geht’s, Miss Julianne,
Weitere Kostenlose Bücher