Das Vermächtnis der Feen (German Edition)
rief Josie erschrocken.
»Egal!« Arthur rieb sich den rechten Knöchel. Dann humpelte er, so schnell es der Fuß zuließ, zu seinem Fahrrad. »Komm!«
Diesmal nahm er keine Rücksicht auf Josie, die ihm mit ihrem alten Vehikel kaum nachkam. Obwohl ihm jeder Tritt ins Pedal höllisch wehtun musste, gewann er rasch Vorsprung. Josie verließ sich auf Wolf, der alles gab, Arthur hinterherzuhecheln, aber immer wieder anhielt, um auf sie zu warten. Es gefiel ihm offensichtlich gar nicht, dass sein Rudel nicht zusammenblieb.
Als Josie vom Feldweg auf die Straße einbog, raste ihr ein Krankenwagen mit Blaulicht entgegen.
Wenige Minuten später öffnete sich vor ihr das Baustellengelände. Arthurs Rad lag neben dem Bauzaun im Gras. Auf der angrenzenden Wiese wartete mit rotierenden Blättern der Hubschrauber. Zwei Sanitäter schoben in höchster Eile eine Krankentrage in die Kabine. Arbeiter standen in der Nähe der Absperrung und unterhielten sich, laut und gestikulierend. Die Atmosphäre war zum Bersten gespannt. Nicht nur wegen des höllischen Hubschrauberlärms verstand Josie keinen einzigen der aufgeregten Wortfetzen, die der Wind an ihr Ohr trieb. War das Polnisch oder Rumänisch? Sie warf ihr Rad neben Arthurs und wies Wolf an, gut darauf achtzugeben. Der Hund legte sich folgsam hin und hielt die Stellung, auch als Josie unter dem Zaun hindurchschlüpfte.
Arthur saß mit hängenden Schultern auf den Stufen eines Bauwagens.
Josie rannte zu ihm hin. »Was ist denn passiert?«
Der Junge deutete in einer mutlosen Bewegung nach vorn. »Der Kran. Das Seil ist gerissen, die Armierungseisen, eine ganze Ladung …«
Josie sah mit Schaudern zu dem schier endlos hohen Kran, an dem, trostlos wie ein Galgenstrick, ein zerfetztes Stahlseil baumelte. Auf dem Boden darunter ein Durcheinander von massiven Eisenträgern. Josie stöhnte. »Du lieber Himmel! Sind die etwa alle runtergeknallt?«
Arthur schluckte. »Brian wollte den Arbeiter noch wegstoßen, dabei hat er selbst was abgekriegt.«
»Dein Bruder?«
»Er ist beim Sturz mit dem Rücken übel auf einen T-Träger geknallt.«
Der Hubschrauber startete mit ohrenbetäubendem Getöse. Josie hielt sich die Ohren zu. »Ist Brian da drin?«, brüllte sie.
Arthur schüttelte den Kopf. Er wartete, bis der Lärm etwas verklungen war, ehe er Josies Frage beantwortete. »Brian haben sie ins Kreiskrankenhaus nach Galbridge gebracht. Da drin ist der Arbeiter. Sie bringen ihn nach Dublin.«
»Furchtbar!« Josie ließ sich neben Arthur auf die Treppe fallen.
Mit einer gewaltigen Staubwolke bremste ein Polizeiwagen neben der Unglücksstelle. Zwei Beamte stiegen aus. Ein großer dunkelhaariger Mann löste sich aus einer Gruppe von Arbeitern und ging mit großen Schritten auf die Polizisten zu.
Josie rollte eine ihrer kupferfarbenen Locken über den Zeigefinger. »Das ist dein Vater, oder?«
»Hmm.« Arthurs Augenbrauen zogen sich zusammen. »Es ist schon der zweite schlimme Unfall auf dieser Baustelle.«
»Ich weiß«, sagte Josie. »Er sollte den Bau besser aufgeben. Dein Großonkel hat gesagt, es sei Sidhe-Gebiet.«
»Aufgeben?« Arthur lachte bitter. »Da kennst du meinen Alten aber schlecht!«
Ein älterer Mann mit einem Schutzhelm bewegte sich mit gesenktem Kopf auf sie zu. Als er Arthur sah, blieb er stehen und wies mit einer deprimierten Handbewegung zum Kran. »Dia linn!«
Arthur nickte bedrückt. »Ja, Thomas, möge Gott uns beistehen! Meinst du, der Arbeiter kommt durch?«
»Níl a fhios agam.« Der Mann fuhr sich in einer tristen Bewegung übers Gesicht.
»Was hat er gesagt?«, erkundigte sich Josie, als er ohne Gruß einfach weitergegangen war.
»Er sagt, er weiß es nicht«, antwortete Arthur rau. »Der alte Thomas hat schon für meinen Großvater gearbeitet. Er hat Dad von Anfang an geraten, die Finger von dem Gebiet hier zu lassen. Aber mein Vater hört ja auf keinen.«
»Glaubst du auch, dass die Sidhe die Hand im Spiel haben?« Josie sah Arthur prüfend an.
Arthur blickte zu seinem Vater hinüber, der heftig mit den Polizisten diskutierte. »Allmählich halte ich alles für möglich.«
Trotz der bedrückenden Situation fühlte Josie, wie sich etwas in ihr entkrampfte. Arthur stemmte sich hoch. »Autsch!« Er ging in die Knie und umfasste seinen Knöchel.
»Tut’s sehr weh?«, erkundigte sich Josie mitfühlend.
»Wird schon gehen.« Damit humpelte Arthur auf seinen Vater zu, der noch immer mit den Beamten sprach.
Josie beobachtete Vater und Sohn.
Weitere Kostenlose Bücher