Das Vermächtnis der Feen (German Edition)
Anderwelt komme.«
»Der rechte Ort. Das rechte Wort«, erwiderte Rosalinde lächelnd und rutschte von der Bettkante auf den Fußboden, bückte sich, stellte mit einem resoluten Handgriff Josies Schuhe ordentlich nebeneinander, und steuerte dann auf die Tür in der Holzverkleidung zu.
Auf garstigen Spinnenbeinen krochen dunkle Zweifel in Josie hoch. Alle Zuversicht, die Elvinias Segensspruch in ihr geweckt hatte, hatte sich in grauen Dunst aufgelöst. Amy und Edna war die Begegnung mit der Anderwelt gar nicht gut bekommen. Sie musste verrückt sein. Worauf ließ sie sich da nur ein?
»Und wenn ich das Portal nicht finde?«, rief sie.
Rosalinde drehte sich noch einmal um. Ein ungeduldiger Zug umspielte ihren herzförmigen Mund. »Ihr habt Gefährten hier wie dort. Wer suchet, der auch findet! Denkt stets daran, dass zaudernd Wort Misslingen an sich bindet!«
Damit verschwand sie in der Geheimtür, die sich lautlos schloss.
Josie starrte noch eine Weile auf das Paneel und fühlte sich höchst unwohl. Rosalinde hatte recht, sie musste dagegen ankämpfen. Unversehens klang das Elfenlied in ihr wieder, heilsam und tröstend. »Möge der Ruf Euer Herz durchdringen! Und mög’ Euch, was Ihr wirkt, gelingen.« Sie gab sich einen Ruck und stand auf.
Es hatte aufgehört zu regnen, Moma saß mit ihrem Notebook auf der Terrasse. Ein aufgeschlagenes Buch lag vor ihr. Josies Herz war übervoll. Wie gerne hätte sie mit ihrer Großmutter über Rosalinde gesprochen, aber das durfte sie ja leider nicht. Sie wischte mit der Hand die letzten Regentropfen von einem Gartenstuhl und setzte sich. »Störe ich?«
Moma schüttelte den Kopf. »Ich hab mir nur ein paar Notizen gemacht. So verrückt die ganze Situation auch ist … Alles hier ist wahnsinnig inspirierend. Für einen Fantasyroman eine geradezu ideale Umgebung. Allmählich hab ich das Gefühl, selbst in einem Fantasyroman zu stecken.«
»Das hab ich seit Chicago«, sagte Josie, während sie das Buch umklappte, um den Titel lesen zu können. »Über Ogham-Steine? Interessant?«
Ihre Großmutter nickte. »Mir kam heute so ein Gedanke. Vielleicht könnte so ein Stein in dem Roman eine Rolle spielen. So zum Beispiel: Ein verrückter alter Mann hat vor langer, langer Zeit den Stein – der natürlich Zauberkraft besitzt – irgendwo in sein Haus eingebaut, und die Protagonisten finden ihn und dann …« Sie stockte und blickte sinnend auf den Bildschirm.
»Und dann?«, fragte Josie nach.
»Weiter weiß ich noch nicht, aber eine gute Geschichte braucht Zeit.«
An diesem Abend aßen sie früher. Josie räumte nach dem Essen allein den Tisch ab, da Maude schon freihatte und Moma und der Professor sich für das Konzert fertig machten.
Wolf folgte ihr auf dem Fuß, als spüre er die Unruhe, die in seiner zweibeinigen Freundin tobte. Jetzt bereute Josie, dass sie so großspurig angegeben hatte, sie bräuchte keinen Babysitter mehr. Mit der robusten Maude im Haus hätte sie sich jetzt definitiv sicherer gefühlt! Während sie das Geschirr in die Spülmaschine stellte, lag der große Hund mit der Würde einer Sphinx auf dem schwarz-weiß gefliesten Küchenboden und tat möglichst unbeteiligt, obwohl Josie genau wusste, dass er auf die Fleischreste schielte, die noch auf ihrem Teller lagen. »Mein Pech und dein Glück, dass ich mir aus der irischen Küche nicht viel mache«, sagte Josie und hielt ihm ein Stück Lammfleisch hin. Behutsam, als wolle er nicht der Gier bezichtigt werden, nahm Wolf es entgegen.
Den Tolkien unter dem Arm öffnete Josie eben die Tür zur Bibliothek, als sie hörte, wie draußen ein Auto wegfuhr. Jetzt war sie also allein. Wolf drängte sich neben ihr in den Raum, als wolle er sagen. »Hör mal, ich bin schließlich auch noch da!«
Die Stehlampe spendete warmes Licht. Hinter dem Funkengitter des Kamins flackerte ein Feuer. Der Professor hatte es nach dem Abendessen noch für sie entzündet. »Du sollst es doch wenigstens gemütlich haben, wenn wir nicht da sind«, hatte er gesagt und ihr gezeigt, wie sie die brikettähnlichen Torfstücke, die man hier traditionell verheizte, nachlegen sollte, ohne dass Glut auf den Fußboden spritzte. Sie schob einen der mächtigen Sessel näher zum Feuer und begann zu lesen. Aber auch heute flatterten Buchstaben und Wörter wirr durch ihren Kopf und wollten sich einfach nicht zu Bildern formen. Nachdem sie einen längeren Satz dreimal gelesen hatte, ohne seine Bedeutung erfasst zu haben, klappte sie
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