Das Vermächtnis der Feuerelfen
gedulden.«
»Dann weißt du nichts über das Kind, das ich suchen soll?«
Ein Kind? Finearfin zuckte unmerklich zusammen, aber ehe sie etwas erwidern konnte, lenkte etwas anderes ihre Aufmerksamkeit auf sich. Aus den Augenwinkeln glaubte sie eine Bewegung auf Durins Umhang zu bemerken, während das Gefühl einer nahen Anderweltkreatur ihre Sinne alarmierte. Es war jedoch nur eine Fliege, die den Mantel des Kopfgeldjägers erkundete, und Finearfin atmete auf.
»Ich hab dich was gefragt, Elfe.« Die Geschwindigkeit, mit der Durin die Suppe löffelte und das Brot in sich hineinstopfte, ließ auf großen Hunger schließen.
»Warte bis morgen. Dann wirst du alles erfahren«, antwortete Finearfin betont kühl, während sie ihr Bündel zur Hand nahm und darin unauffällig nach dem Fläschchen mit Schlafpulver suchte, das sie für solche Fälle immer bei sich hatte.
DAS GRAB
D ie Verfolger kamen näher. Caiwen rannte. Ihren Weg säumten Tote, die wie zerbrochene Puppen in ihrem Blut auf dem Boden lagen. Caiwen war erschöpft. Sie wusste, dass sie nicht schnell genug war, aber sie gab nicht auf. Das kleine Bündel in ihrem Arm schützend an sich gepresst, lief sie weiter.
Eine Frau mit hellen Haaren war dicht an ihrer Seite. Sie rief ihr etwas zu, dann riss sie jäh die Augen auf und stürzte, einen Pfeil zwischen den Schulterblättern, zu Boden. Verzweiflung übermannte Caiwen. Sie blieb stehen und beugte sich über die Frau, in deren Körper kein Leben mehr war.
Im gleichen Augenblick waren die Verfolger heran. Düstere Schatten ohne Gesichter, die den Kreis um sie immer enger zogen. Caiwen wollte fliehen, aber sie waren überall. Etwas zischte heran, schlang sich um ihre Beine und brachte sie zu Fall. Als sie sich umdrehte, sah sie den Mann. Das Gesicht im Dunkel einer weiten Kapuze verborgen, stand er neben ihr und schaute auf sie herab wie auf ein in die Enge getriebenes Wild.
»So endet es also«, hörte sie ihn sagen und sah, wie er langsam, fast andächtig die Hände hob, um die Kapuze zurückzuschieben. »Dein Schicksal ist besiegelt...«
… Síve i cala fire earo morne núriessen, San fire estel.
Caiwen schreckte aus dem Schlaf hoch. Sie zitterte am ganzen Körper. Ihr Herz raste. Sie zwang sich, ein paar tiefe Atemzüge zu
nehmen. Langsam legte sich die Angst und machte Ärger Platz. In all den Wintern, in denen der Albtraum sie nun schon heimsuchte, hatte sie nie das Gesicht des Mannes gesehen, der sich wie ein grausiger Bote des Todes über sie beugte. Der Traum verlief immer gleich und endete stets an derselben Stelle: mit den Worten in einer ihr völlig unbekannten Sprache. Sie wusste nicht, was das alles bedeuten sollte, und hatte noch kein Mittel gegen den Schrecken gefunden, den der Traum in ihr erzeugte, aber sie hatte gelernt, mit ihm zu leben.
Seufzend ließ sie sich in ihr Kissen sinken und wartete darauf, dass sich ihr Herzschlag beruhigte, als ihr auffiel, dass etwas nicht stimmte. Es war nur ein Gefühl, das sie nicht in Worte fassen konnte, aber es war da.
In der Hütte war es dunkel. Dem Schlaf noch nicht ganz entronnen, schlug sie die gewebte Decke zur Seite, schlich zum Fenster und blickte nach Osten, wo der Sonnenaufgang einen ersten, schwachen Silberschimmer über den Horizont schickte.
Einen langen Augenblick blieb sie am Fenster stehen und lauschte in die Dunkelheit hinein. Dann wusste sie es. Es war die Stille im Haus. Eine vollkommene Abwesenheit jeglichen Geräuschs, wie sie es noch nie zuvor erlebt hatte. Kein Wind pfiff durch die Ritzen, keine brennenden Steine brachten den eisernen Ofen zum Knacken und aus der Schlafkammer der Eltern drang kein Schnarchen an ihre Ohren. Das Haus schien leer und tot.
»Vater? Mutter?« Caiwen eilte zur Tür ihrer Kammer. Das Bett sah benutzt aus, aber es war leer. Es dauerte einen Moment, bis sie begriff, dass sie ganz allein im Haus war. Seltsam. Seit sie denken konnte, war es noch nie vorgekommen, dass Verrina und Lenval die Hütte gemeinsam verlassen hatten, ohne es ihr mitzuteilen oder ihr eine Nachricht zu hinterlassen - schon gar nicht in der Nacht.
Je älter sie wurde, desto öfter verfluchte Caiwen es, so behütet zu werden, auch wenn sie verstehen konnte, dass sich ihre Eltern
ganz besonders um die einzige Tochter sorgten. Inzwischen war sie fast erwachsen und sehnte sich nach mehr Freiheit. Dass sie ihr so unverhofft zuteilwurde, schürte jedoch die Sorge in ihr.
Wo waren ihre Eltern hingegangen? Wann würden sie
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