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Das Vermächtnis der Kandari (German Edition)

Das Vermächtnis der Kandari (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis der Kandari (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Tracy Schoch
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andere konnte er sich kaum erinnern. Das erschien ihm schlimmer als vieles andere. Ein Leben zu führen, das für niemanden von Bedeutung war. Nicht mehr zu sein als eine Randnotiz, wenn überhaupt. Nur um dann wieder zur Seite zu treten und in der Vergessenheit zu versinken. All diese Menschen hatte er bisher als selbstverständlich angesehen, doch das waren sie nicht. Kein einziges Leben, kein einziger Mensch war selbstverständlich. Jeder für sich war etwas Besonderes und hatte der Welt etwas Besonderes zu geben. Und niemand verdiente, am Rande der Wahrnehmung dahinzuvegetieren.
    So erreichte Julius die Flügeltür des Thronsaals. Einen Augenblick lang verharrte sein Blick auf dem Wappen des vereinten Königreiches von Anoria, das über der Tür in den Stein eingemeißelt war: die silberne Taube auf blauem Grund unter eine goldene Krone. Ein Sinnbild des Friedens. Es erschien Julius wie Hohn, wenn er an das von Krieg und Hungersnot verwüstete Land dachte.
    Eine der Wachen verbeugte sich vor ihm und öffnete die schwere Tür für den jungen Prinzen. Ernst und würdevoll erwiderte Julius den Gruß, bevor er die Halle betrat. Einen Moment lang ließ er seinen Blick durch den überfüllten Saal schweifen, dann schritt er durch die Reihen nach vorn und nahm seinen Platz zwischen Raphael und Dalinius ein. Raphael hatte darauf bestanden, in Arida zu bleiben und nicht einmal der heftige Streit mit seinem Vater hatte ihn von diesem Vorhaben abbringen können. Nun stand er hier zwischen den großen Kriegern der königlichen Garde in ihren Rüstungen und wirkte sonderbar fehl am Platz. Julius sah sich um und erkannte Elaine, die zwei Reihen weiter neben ihrem Vater stand und die Augen gesenkt hielt. Jetzt aber hob sie den Kopf und für einen Moment begegneten sich ihre Blicke. Elaine lächelte nicht, doch das Aufleuchten ihrer Augen sagte Julius genug. Sie zumindest würde für ihn immer einzigartig sein. Dieser Gedanke war tröstlich und so wandte er, zumindest äußerlich ruhig und gefasst wirkend, seine Aufmerksamkeit dem Thron im vorderen Teil der Halle zu.
    In diesem Augenblick betrat Julien den Saal. Sofort richteten sich alle Blicke auf ihn und all die kleinen Geräusche verstummten. Beinahe schien es, als würden die versammelten Menschen die Luft anhalten. Der König von Anoria trug an diesem Tag kein Zeichen seiner Macht, weder seine Krone noch den schweren dunkelblauen Mantel. In seiner schlichten, dunklen Kleidung hätte er ebenso gut einer aus dem Volk sein können. Doch etwas, eine Art stille Größe und Majestät, die einem keine Krone und kein Zepter verleihen konnten, schienen ihn zu umgeben. So trat er vor die versammelte Menschenmenge. Einen Augenblick stand er da, allein und ohne zu sprechen, ein älterer Mann mit ergrautem Haar, der die Last der Welt auf seinen Schultern zu tragen schien. Dann richtete er sich zu seiner vollen Größe auf und begann: „Meine Freunde“, sein Blick glitt über die ihm zugewandten Gesichter und er erinnerte sich an den Tag, an dem er zum ersten Mal hier gestanden hatte, den Tag, an dem man ihm die Krone auf das Haupt gedrückt hatte und mit ihr die Macht des Großkönigs und die unendliche Verantwortung. Dreißig Jahre waren seitdem vergangen, eine Ewigkeit. Die Welt hatte sich in dieser Zeit verändert und schien nicht mehr dieselbe zu sein. Alles, was sein Leben bestimmt hatte, hatte seine Bedeutung verloren. Sein Anoria existierte nicht mehr, er stand vor den Trümmern dessen, was sein Traum, sein Lebenswerk gewesen war. Und jetzt, als er in die Augen dieser Menschen blickte, wusste er, ihnen ging es ebenso. Einem plötzlichen Entschluss folgend stieg er die Stufen, die zu seinem Thron führten, hinab, sodass er seinen Untertanen direkt gegenüberstand.
    „Meine Brüder!“, er schloss die Augen, als könne er so die Erinnerung wieder zum Leben erwecken. „Heute gedenken wir derer, die starben, die ihr Leben opferten, um ihr Land, ihre Freunde und ihre Familie zu retten“, er seufzte und hob den Kopf, den Blick der grauen Augen in weite Ferne gerichtet, „vielleicht wird uns die Tragweite unseres Verlustes erst heute bewusst. Möglicherweise lässt sich der Wert dessen, was wir verloren haben, was uns genommen wurde, niemals ermessen.“ Wieder verstummte er. Das Schweigen dehnte sich aus, hüllte den ganzen Saal ein. Endlich, nach langer Zeit holte Julien tief Luft, bevor er weitersprach: „Manchmal frage ich mich, ob die Welt jemals wieder so sein wird wie

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