Das Vermächtnis von Thrandor - Das Schwert aus dem Feuer
an. Seine Augen waren wie entzündet und er ging zum kalten Bach und spritzte sich eisiges Wasser über Gesicht und Nacken. Dann klopfte er auf seine Wangen, um nach der belebenden Wäsche die Blutzirkulation anzuregen. Dabei besah er sein Spiegelbild auf der sich beruhigenden Wasseroberfläche. Nach und nach verschwanden die Kräuselungen und seine Gesichtszüge traten deutlicher hervor. Recht verwundert stellte Calvyn fest, dass ihn da aus dem Wasser nicht länger ein Junge anblickte. Das Gesicht gehörte einem Mann. Einem jungen, aber eindeutig erwachsenen Mann.
»Seltsam«, murmelte er. »Ich frage mich, wann das passiert ist.«
Die Erkenntnis, dass seine Kindheit nunmehr der Vergangenheit angehörte, machte es ihm irgendwie leichter, das ihm Bevorstehende zu akzeptieren. Kinder spielten Krieg, aber Erwachsene wurden plötzlich in ihn hineingerissen. Dieser Zeitpunkt war nun schneller gekommen, als
er sich gewünscht hätte, aber als er sah, wie fest und entschlossen ihn sein Spiegelbild aus dem Wasser anschaute, traute er sich plötzlich zu, seine Pflicht als Soldat zu erfüllen. Er kehrte zurück zum Zelt und betrachtete die Gesichter seiner um das Feuer versammelten Kameraden mit neuem Blick. Zu seiner eigenen Verwunderung konnte er erkennen, welche Soldaten noch nicht die geistige Veränderung vollzogen hatten, die aus spielenden Kindern Soldaten machte, die entschlossen waren, für ihren König und ihr Land zu sterben.
»Alles in Ordnung?«, fragte Jenna, die schon ihren Rucksack packte, als er das Zelt betrat.
»Ja, bestimmt«, versicherte Calvyn und entspannte seine nachdenkliche Miene, um seiner Freundin ein Lächeln zu schenken. »Mich beschäftigt nur, was Derra uns gestern Abend berichtet hat, das ist alles. Vielleicht hätte ich ein besseres Gefühl, wenn ich wüsste, wie die Gegend aussieht, in der wir kämpfen werden. Ich glaube, mir wäre wohler, wenn die Schlacht … na ja, sagen wir mal, in der Nähe der Burg stattfinden würde, wo ich mich auskenne. Dann könnten sie uns ruhig auch mit zehn zu eins Kämpfern gegenüberstehen, und ich würde trotzdem froh sein … also gut, nicht froh, aber zumindest erleichtert, dass ich auf heimatlicher Erde kämpfe. Verstehst du, was ich sagen will?«
»Sehr genau«, antwortete Jenna und nickte bekräftigend. »Ich war jedoch schon einmal in Mantor, vor Jahren, und so kommt es mir nicht vollkommen fremd vor. Ich muss aber dazusagen, dass ich damals lieber in einer Kutsche reiste, als zu Fuß zu gehen.«
»In einer Kutsche? Ich wusste nicht, dass du aus einer reichen Familie stammst, sonst hätte ich schon längst eine Verbindung vorgeschlagen«, scherzte Calvyn und rieb sich
grinsend die Hände, als sehe er schon die Goldbatzen vor sich.
Jenna lachte.
»Vielleicht hätte ich lieber Pony und Karren sagen sollen, das wäre eine bessere Beschreibung gewesen.«
»Mist!«, fluchte Calvyn, senkte den Kopf und schüttelte ihn in gespielter Enttäuschung. »Wieder einmal sind mir Reichtum und Ruhm durch die Lappen gegangen! Aber egal. Ich bin sicher, wenn ich in diesem Aufzug in Mantor auftauche, werden sämtliche Mädels, ob reich oder arm, bei meinem Anblick in Ohnmacht fallen. Bestimmt kann ich dann aus Dutzenden von schönen, begehrenswerten und wohlhabenden jungen Damen wählen, die sich darum reißen werden, sich mit einem solch schneidigen und heldenhaften Soldaten zusammenzutun.«
»Ganz sicher«, stimmte Jenna trocken zu. »Um all die Frauen abzuwehren, musst du wahrscheinlich mehr Geschick und größere Entschlossenheit aufbringen, als um diese kümmerliche Armee der Terachiten zu schlagen. Dreißigtausend rasende Terachiten sind eine Kleinigkeit, verglichen mit den Damen aus Mantor.«
Calvyn lachte, aber Jennas Gesicht blieb ernst und ihn beschlich ein leiser Zweifel.
»Machst du Witze?«, fragte er stockend.
Jenna blieb noch kurz ernst, doch dann wurde sie auf einmal von einem Lachkrampf geschüttelt. Calvyn stimmte zerknirscht mit ein, als er begriff, dass sie ihn gründlich auf den Arm genommen hatte. Mit Tränen in den Augen zeigte Jenna auf Calvyns Gesicht. Ihr Gelächter weckte die Aufmerksamkeit von Korporalin Derra, die den Kopf aus dem Zelteingang steckte.
»Was ist so lustig? Mir würde ein bisschen Spaß auch gut bekommen«, knurrte sie.
»Ich«, antwortete Calvyn grinsend. »Jenna hat mich glauben lassen, die Frauen in Mantor würden mich unwiderstehlich finden, und anstatt mir Sorgen über die Terachiten zu machen, sollte ich
Weitere Kostenlose Bücher