Das Vermächtnis von Thrandor - Der Auserwählte
Hüter warteten bangen Herzens. Alle drei seufzten erleichtert auf, als Perdimonn den Mantel des Merridom in die Höhe hielt und ihnen den Ring des Nadus zeigte, der an seinem Finger blitzte.
»Was ist in dem Mantel?«, fragte Rikath neugierig.
»Selkors Vorräte und alles, was er so für sein Nachtlager braucht«, erwiderte Perdimonn unschuldig. »Nichts wirklich Wichtiges also.«
Die anderen Hüter glucksten vergnügt und strahlten einander an wie Schulkinder, die ihrem Lehrer soeben den Stuhl unter dem Allerwertesten weggezogen hatten. Natürlich war es nicht mehr als ein Schabernack, aber es hellte ihre Stimmung angesichts dessen, was ihnen bevorstand, deutlich auf.
Perdimonn leerte den Inhalt des Bündels innerhalb der Stadtmauer auf die Straße. Sobald die Zeit wieder normal lief, würden die Sachen wahrscheinlich in wenigen Minuten verschwunden sein, mitgenommen von Mantors Bürgern. Selbst wenn Selkor den Diebstahl bald bemerkte, würde er seine Habe nicht so schnell wiederbekommen.
Perdimonn warf sich den Mantel des Merridom über die Schulter und schloss die Schmuckschnalle über der Brust.
»Also, sind alle bereit?«, fragte er und blickte in die Runde.
»Bereit«, antwortete Arred. Auch die anderen nickten.
»Gut, dann wollen wir mal«, erklärte Perdimonn entschlossen.
Er sammelte seine Kräfte und richtete sie auf das Gestaltwandeln.
Perdimonn hatte die magische Formel, mit der man sein Äußeres veränderte, immer gehasst und beherrschte sie auch nicht besonders gut. Doch mit dem Mantel des Merridom fiel sie ihm erheblich leichter als sonst. Augenblicklich entstand in seinem Geiste das Bild der Person, deren Gestalt er annehmen wollte. Es war so klar, als hätte Perdimonn den Mann eben erst gesehen, und schon nach wenigen Atemzügen war die Verwandlung vollzogen.
»Sehr eindrucksvoll«, beglückwünschte Rikath ihn grinsend. »Jetzt siehst du fast so alt aus, wie du bist!«
»Sehr witzig«, erwiderte die Stimme des Großmagiers Akhdar sarkastisch. Perdimonn berührte sachte seinen Bart, das Haupthaar und seine veränderten Gesichtszüge und sah hinunter auf seine Kleidung. »Eine Schande, dass der richtige Akhdar nicht rechtzeitig gekommen ist. Mit ihm wäre die ganze Sache erheblich leichter.«
Wieder sammelte Perdimonn seine geistigen Kräfte und sprach eine weitere Formel – eine, die ihm vertrauter war und in der er mehr Übung hatte. Nach wenigen Minuten blickte er wieder die anderen an und nickte.
»Die Trugbilder auf der Mauer sind fertig«, bestätigte er. »Arred, kannst du es so erscheinen lassen, als ob einige von ihnen Feuerformeln wirken?«
»Das werde ich schaffen«, antwortete Arred grinsend und begann sofort wieder, mit seinen Feuerbällen zu jonglieren.
»Gut, dann noch eine letzte Illusion.« In Perdimonns rechter Hand erschien der Stab des Dantillus. »… und los geht’s!«
Mit diesen Worten hob Perdimonn seine Zeitverzerrungsformel auf und die Welt um sie herum erwachte wieder zum Leben. Die drei Hüter und der vermeintliche
Großmagier Akhdar marschierten beherzt durch das Stadttor hinaus, um sich ihrem Gegner zu stellen.
Als Selkor die vier Gestalten vor sich auftauchen sah, zügelte er sein Pferd und erwartete sie. Auf seinem Gesicht machte sich ein höhnisches Grinsen breit. Unwillkürlich fasste er nach dem Ring des Nadus. Als er bemerkte, dass er nicht mehr da war, verschwand das Grinsen und seine rechte Hand fuhr an die Brust, wo Darkweavers Amulett unheilvoll glitzerte wie ein bösartiges silbernes Auge. Erleichtert ließ Selkor die Hand wieder sinken. In seinen Zügen lag eine Mischung aus Zorn und Befriedigung.
»Wo ist denn der Feigling Perdimonn?«, fragte er laut. »Ruft ihn her, sonst lege ich diese jämmerliche Barbarenstadt in Schutt und Asche und hole ihn mir.«
»Das wirst du schön bleiben lassen«, erwiderte Perdimonn mit Akhdars Stimme. »Gemeinsam haben wir die Macht, dich von ihm fernzuhalten.«
»Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass mich diese jämmerlichen Gestalten hier aufhalten können, Akhdar? Du bist ein noch größerer Narr, als ich angenommen habe. Das sind doch lauter Dummköpfe. Die werden dir gar nichts nützen. Meine Macht reicht aus, euch alle fertig zu machen, euch und diese jämmerlichen Feiglinge, die da oben auf der Stadtmauer auf mich lauern.«
Perdimonn schmunzelte innerlich. Selkor hatte gute Augen, das musste man ihm lassen. Von den imaginären Magiern, die er erschaffen hatte, war kaum der Zipfel eines Umhangs zu
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