Das Vermächtnis von Thrandor - Der Auserwählte
folgenden Tages den Stab an Morrel weiterreichte, bedankte sie sich bei den Soldaten für ihre Gesellschaft und kündigte an, 36 Stunden später zurückzukehren. Morrel beobachtete kurz darauf belustigt, wie die Männer versuchten, in die entsprechende Schicht eingeteilt zu werden.
Von Selkor und den Magiern fehlte indes jede Spur. Auf
Morrel folgte Perdimonn und auf diesen wieder Arred. Am Spätnachmittag seiner zweiten Schicht sichtete Arred die erste Ankunft. Leider war es nicht der Rat der Magier.
9
Als Arred die Gestalt im schwarzen Umhang heranreiten sah, wusste er, dass es Selkor war. Der shandesische Magier machte keinerlei Anstalten, sich zu tarnen, und saß auf einem Ross, das den Stolz und die Überheblichkeit seines Reiters widerspiegelte. Arred baute die Gedankenverbindung zu Perdimonn auf. »Perdimonn . Wir haben Gesellschaft und sollten unseren Gast willkommen heißen.«
»Verstanden«, antwortete Perdimonn. »Wann wird er am Tor sein?«
»In ungefähr fünf Minuten . «
»Gut, wir treffen uns am Stadttor. Sieh dich vor! Ich halte ihn auf, bis wir bei dir sind.«
»Gut«, bestätigte Arred. Er warf einen letzten Blick auf Selkor und stieg dann die Treppe hinab.
Der merkwürdige Ruck, den es gab, als Perdimonn die Zeit für die vier Hüter beeinflusste, kam Arred stärker vor als beim letzten Mal. Ob es damit zusammenhing, dass Perdimonn die Zeit an den Erdschlüssel gebunden hatte? Doch Arred schob den Gedanken beiseite. Er eilte die Treppen hinunter zur Stadtmauer und dann auf die Straße.
Wie beim letzten Mal, als Perdimonn die Zeit eingefroren hatte, stand die Welt um Arred herum still. So fiel es
ihm nicht weiter schwer, sich einen Weg durch die Menschen auf der Straße zu bahnen. Arred wusste, dass er sie nicht berühren durfte. Da sein eigenes Tempo im Verhältnis enorm hoch war, hätte ein Zusammenstoß schlimme Folgen gehabt. Zum Glück war am späten Nachmittag auf der Straße hinter der Stadtmauer nicht mehr viel Betrieb.
Arred umgab dieselbe gespenstische Stille, die er noch von der Bootsfahrt von Kaldea zur Meerenge von Ahn in Erinnerung hatte. Damals war kein Mensch in der Nähe gewesen, doch hier, mitten in der Hauptstadt, hatte diese Ruhe etwas Gespenstisches.
Die Menschen waren in ihren jeweiligen Bewegungen eingefroren. Wo Arred auch hinsah, waren Leute mitten im Gehen, Rennen oder gar Hüpfen in einer Haltung erstarrt, die die Schwerkraft Lügen strafte. Die Schwerkraft wirkte ja auch nicht wie üblich, überlegte Arred, schreckte aber vor diesem Gedanken zurück, denn je mehr er darüber nachdachte, desto verwirrender erschien ihm das Ganze. Wenn man die Naturgesetze zugrunde legte, müsste sich die Veränderung des Zeitflusses doch auch auf seinen Körper auswirken. Perdimonns Zauber schien sich sämtlicher Logik zu entziehen. Es war einfach unheimlich.
Arred erreichte das Stadttor, setzte sich außerhalb davon auf den Boden und wartete. In einiger Entfernung konnte er Selkor auf seinem Pferd sehen, reglos wie alles um ihn herum.
Wenn ich mich nicht der Gewaltlosigkeit verpflichtet hätte, so ging es Arred durch den Kopf, wäre es jetzt ein Leichtes, Selkor zu töten. Alle unsere Probleme wären mit einem Schlag gelöst. Doch ein Hüter brach seinen Schwur nicht einfach, nicht einmal im Kampf gegen einen bösen Magier.
Perdimonn hatte sicher einen Plan. Den hatte er doch
immer, dachte Arred. Er fröstelte leicht, als ihn das unheimliche Gefühl beschlich, dass Selkor ihn beobachtete. Das war lächerlich, und Arred wusste es, doch er kam nicht dagegen an. Er stand auf, ging durch das Stadttor und ertrug lieber die gespenstische Stille der Stadt als den Blick Selkors, auch wenn er sich ihn nur einbildete.
Arred kam die Wartezeit endlos vor. Um sich abzulenken, jonglierte er, auf dem Pflaster sitzend, mit fünf Feuerbällen. Als die anderen drei Hüter endlich aus einer der Seitenstraßen auftauchten, die den Hügel hinauf zum Palast führten, wäre Arred am liebsten aufgesprungen und ihnen entgegengelaufen. Doch er beherrschte sich, erhob sich gemächlich und reckte die Beine, die steif geworden waren vom langen Sitzen.
»Komm, Arred«, sagte Perdimonn einfach. »Es wird vermutlich etwas hässlich, aber ich habe den anderen schon erklärt, wie wir diese Konfrontation am besten zu unserem Vorteil nutzen können.«
Arred lächelte breit. Perdimonn schüttelte immer und für jede Gelegenheit einen Plan aus dem Ärmel. Der alte Magier hatte eine Begabung, auch die
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