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Das Versprechen des Architekten

Das Versprechen des Architekten

Titel: Das Versprechen des Architekten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Braumüller <Wien>
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direkt zu Modráček oder zu jemandem von der sogenannten organisierten Selbstverwaltung gehen solle, damit sie den Tausch von oben anordnen, aber es ist mir so peinlich, dass es einfach nicht infrage kommt, und eigentlich weiß ich ja auch nicht, ob Dan damit einverstanden wäre, ob er nicht das Gefühl hätte, ich würde mit ihm Rangierbahnhof spielen, mir schon das Besitzrecht auf ihn anmaßen, ich bin hier die verwegenste aller nach Männerfleisch lechzenden Raubtiere, und das rührt sicher daher, dass ich ein bisschen was von einer Intellektuellen habe, als sie gleich nach dem Krieg in Prag Sartres Stück „Geschlossene Gesellschaft“ spielten, schlug ich alle Warnungen in den Wind und setzte mich augenblicklich in den Zug, und was noch schlimmer war, später hab’ ich dann ungefähr dreißig Seiten aus Husserls „Cartesianischen Meditationen“ gelesen, ich bin halt schon infiziert, bin schon so ein wenig verdammt, der Herr Architekt hat von Zeit zu Zeit Anwandlungen rührender Besorgtheit, man könnte krepieren daran, so hat er für uns gestern am Abend auf seinem eigenen Rücken eine Wanduhr ins Speisezimmer angeschleppt, es ist ein sogenannter „Wiener Regulator“, eine Pendeluhr, die jede Viertelstunde schlägt, er ließ mich kommen, damit ich sie in Gang setze, er hatte sie nicht bei einem Altwarenhändlergekauft, sondern vom Dachboden heruntergetragen, ich hatte Angst, es würde irgendein Krempel mit irreparabel beschädigtem Uhrwerk sein, öffnete dann aber den Uhrkasten und war angenehm überrascht, das Gehwerk mit der Graham-Ankerhemmung war völlig in Ordnung, es benötigte nur eine gründliche Reinigung, ich ölte die Lager und hängte die Uhrgewichte auf die Saiten mit den Rollen, polierte den Biedermeierkasten, und Samuel Hutka schlug zwei große Haken ein, und er und der bucklige Trojan befestigten die Uhr an der Stirnwand des Speisesaals, und beim Mittagessen hoben dann alle überrascht die Köpfe von den Tellern, als die Uhr feierlich genau Mittag schlug, und alle warteten geduldig, bis der letzte Schlag verhallt war, und beugten sich erst dann wieder über ihre Teller, aber so war es nur an jenem ersten Tag, als alle davon verblüfft waren, einmal hat das passieren müssen, einmal hat jemand auf die Idee kommen müssen, dass es, sollte Leutnant Láska sterben, der richtige Schlüssel wäre, der uns die gepanzerte Tür öffnen würde, alle kannten wir natürlich das Versprechen des Herrn Architekten, und alle wussten wir daher, dass die Pflicht, Leutnant Láska hier gefangen zu halten, mit dem Tod des Geheimpolizisten enden würde, alle hält uns hier also nur Modráčeks Versprechen gefangen, auf dem alles andere aufgebaut ist wie ein Kristallpalast auf einem Zuckerkegel, sodass, wenn wir diesen Kegel verputzen, wenn wir ihn, mit Verlaub, auffressen, dieser ganze großartige Bau einstürzt und wir wieder frei sein werden, also frei im Rahmen der Möglichkeiten, die uns diese gerechteste menschliche Ordnung, die Diktatur des Proletariats, bietet,anders gesagt, ist es am Ende nicht so, dass der Herr Architekt einfach nicht den Mumm hat, diesen wahnsinnigen Geheimpolizisten so zu bestrafen, wie er es sich verdient?, er hat doch den Mord an seiner Schwester und an wer weiß wem noch auf dem Gewissen, schließlich hat Morden doch zur Ausübung seines Stasi-Berufes gehört, sodass wir, wenn wir das jetzt anstelle des Herrn Architekten vollziehen, uns nichts Böses zuschulden kommen lassen und nur schicksalhafte Gerechtigkeit üben, aber diesen Gedanken hat niemand laut ausgesprochen, er hing nur sozusagen in der Luft, sodass ihn auch der Herr Pfarrer, Pater Klenovský, lesen konnte, und dieser Gedanke spann sich dann weiter: was für einen Wert hat ein wahnsinniger Geheimpolizist, dessen Hände in Blut getränkt sind?, folglich haben wir das Recht, ein wertloses Wesen umzubringen, zumal dadurch zwanzig Menschen die Freiheit erlangen, das Leben eines einzigen wahnsinnigen und verbrecherischen Stasimannes im Tausch gegen die Freiheit von einundzwanzig im Großen und Ganzen rechtschaffenen, fast ehrenhaften und so ein wenig wohl auch gerechten Menschen!, Pater Klenovský las sich diesen hier wie Wäsche an der Leine in der Luft hängenden Gedanken zur Sicherheit noch zweimal durch, und er war ihm sehr gut, mehr als gut bekannt, er wusste auch sofort, dass das einstweilen nur ein Samen war, freilich ein in der reglosen Windstille, die hier unten herrscht und die nur von Zeit zu Zeit von den

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