Das Versprechen des Opals
sah, erkannte sie, dass sie schon den halben Vormittag vertrödelt hatte. Ungeduldig mit der Zunge schnalzend, brachte sie die Spieldose wieder in ihr Versteck in der Küche. Dann stülpte sie sich den Buschhut auf den Kopf, polterte die ausgetretenen Stufen hinunter und marschierte zu den Stallungen.
Die Bellbird-Farm hatte einmal Tausende von Rindern beherbergt, und heute standen auf ihren Weiden einige der besten Zuchtpferde Australiens. Die Veränderung war im Laufe der Jahre vonstatten gegangen und hatte ihr höchstes Renommee verschafft, als einer ihrer Hengste den Melbourne Cup gewonnen hatte. Inzwischen kamen Käufer und Züchter aus der ganzen Welt hierher, und Miriam ärgerte sich sehr darüber, dass sie wahrscheinlich nicht mehr lange genug da sein würde, um noch einen Cup-Sieger zu erleben.
Sie war außer Atem und verdreckt, als ihr Verwalter sie eine halbe Stunde später beim Ausmisten der Ställe ertappte. »Ich finde nicht, dass Sie das machen sollten«, sagte er gedehnt.
Miriam richtete sich auf und funkelte ihn an. Sie waren gleichaltrig, aber er hatte die Angewohnheit, sie wie eine Greisin zu behandeln. »Vergiss nicht, wer hier der Boss ist, Frank, und kümmere dich um deinen eigenen Kram!«
Er trat von einem Bein auf das andere, und sein langes Gesicht war ein Bild des Jammers unter der breiten Krempe seines schweißfleckigen Akubra-Huts. Er war seit über fünfzig Jahren Miriams Verwalter und hätte sich mittlerweile an ihre Art gewöhnt haben müssen, aber sie wusste, dass er es nie recht gelernt hatte, mit ihrem Trotz umzugehen, und in diesem Moment erinnerte er sie an einen ungezogenen Schuljungen, der im Fahrradschuppen beim Rauchen erwischt worden war.
»Ist aber nicht richtig für ’ne Lady in Ihrem Alter«, sagte er unter weitgehender Missachtung der Folgen, die eine solche Bemerkung nach sich ziehen konnte.
»Das Alter hat einen Dreck damit zu tun«, schnarrte sie, griff zu einem Hammer und machte sich daran, eine der Boxen auszubessern. »Gibt’s denn gar nichts, was du tun könntest, statt hier rumzustehen und mir in den Ohren zu liegen?«
Er wurde rot und trollte sich mit dem wiegenden Gang eines Mannes, der den größten Teil seines Lebens zu Pferde verbracht hat.
Miriam sah ihm mit resigniertem Lächeln nach. Sie war froh, dass ihm so viel an ihr lag, dass er wagte, sich ihr entgegenzustellen. Froh, dass er sich nach seiner Heirat entschieden hatte, auf Bellbird zu bleiben. Seine Kinder hatten Leben auf die Farm gebracht, nachdem Chloe nach Queensland gegangen war, und Miriam hatte sie sehr vermisst, als auch sie fortgezogen waren. Sie hatte gehofft, dass wenigstens einer aus Franks Brut bleiben würde, um auf diesem guten Land eine neue Familie zu gründen. Aber das war nicht geschehen. Das Outback war zu einsam – zu rau für diese junge Generation von Australiern, die es nicht erwarten konnte, von hier fortzugehen, fort zu den hellen Lichtern und dem Treiben der Städte.
Motorengeräusch riss sie aus ihren düsteren Gedanken. Sie drehte sich um und sah einen schlammbespritzten Geländewagen,der auf der ausgefahrenen Piste herangedonnert kam und quietschend vor der Veranda bremste. Ihr wurde bewusst, was für einen Anblick sie bieten musste, aber das war jetzt nicht mehr zu ändern. Sie wischte sich die Hände am Hosenboden ab, rückte den Hut zurecht und ging hinaus, um den Besucher zu begrüßen. Ein derartiger Auftritt passte nicht zu Wilcox – aber vielleicht hatte sein zweiter Frühling begonnen.
Die Tür des Geländewagens öffnete sich. Miriam fand es ziemlich verstörend, dass sie zurücktreten musste, um dem Fremden ins Gesicht zu schauen. Er sah gut aus, aber er war viel zu jung: Der Besucher, den sie erwartet hatte, konnte es nicht sein. »Kann ich Ihnen helfen?«, fragte sie.
»Jake Connor«, sagte er. »Sind Sie Mrs Strong?«
Miriam zog die dicken Arbeitshandschuhe aus und schüttelte die ausgestreckte Hand. Sie schaute wieder zu ihm auf. An einem Händedruck konnte man eine Menge erkennen, und der seine war trocken und fest, aber nicht übermäßig kraftvoll. »Was kann ich für Sie tun, Mr Jake Connor?«
»Die Frage ist eher, was ich für Sie tun kann.« Er lächelte.
Sie beäugte ihn argwöhnisch. Wilcox ähnelte er wirklich nicht. Aber er sah auch nicht aus wie ein Vertreter oder ein Futtermittelhändler. »Ach ja?«
Er lachte, völlig gelassen und kein bisschen bestürzt über ihr schroffes Benehmen. »Sie haben in meinem Büro angerufen. Sie
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