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Das Versprechen des Opals

Das Versprechen des Opals

Titel: Das Versprechen des Opals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tamara McKinley
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mächtigen Atlantikwellen hatte ihr immer großen Spaß gemacht. Sie legte schützend die Hand auf die Rundung ihres Bauches und musste lächeln. Sie war noch nie schwanger gewesen. Vielleicht war das die Erklärung?
    Sie holte tief Luft und versuchte den bohrenden Zweifel zu ignorieren, während sie auf das weite graue Meer hinausschaute. Alle Frauen haben diese morgendliche Übelkeit, sagte sie sich. Bei dir ist es wegen der Seereise nur ein bisschen schlimmer. Die Schmerzen sind wahrscheinlich eine Folge der Tritte, die du in Irland bekommen hast. Sie konnte deshalb zwar manchmal schlecht schlafen, aber sie fand doch, dass es heute schon ein bisschen besser war. Das Kind war jedenfalls lebendig genug; es zappelte und trat. Ohne Zweifel würde diese Unpässlichkeit bald verschwinden, wie die Blutergüsse verschwunden waren; sie machte sich nur unnötig Sorgen.
    Sie schaute sich nach Henry um. Sein blondes Haar glänzte im matten Sonnenlicht und wehte im Wind; er saß auf einem Segeltuchstuhl und konzentrierte sich auf die Skizze eines Passagiers, an der er gerade arbeitete. Es ist gut, dass er eine Beschäftigung hat, dachte sie, und noch besser, dass er gut dafür bezahlt wird. Seine künstlerische Aktivität hatte sich herumgesprochen, und es gab eine lange Liste von Leuten, die zum Andenken an diese bedeutsame Reise ihr Konterfei zeichnen lassen wollten.
    Seine Hand führte den Bleistift sicher über das rahmweiße Papier. Er beugte den Kopf konzentriert über seine Arbeit, und seine Augen leuchteten. Er war so begabt, und er brannte darauf, sich einen Namen zu machen und seinem Vater zu beweisen, dass dieser Unrecht hatte. Wenn doch nur alles anders gekommen wäre! Wenn sie doch in London bleiben und einen Mäzen hätten finden können!
    Als sie sich wieder zur Reling wandte, durchfuhr sie ein stechenderSchmerz. Unwillkürlich schrie sie auf, aber sie biss sich auf die Lippe, um den Laut zu ersticken. Henry durfte nicht merken, dass es ihr nicht gut ging; sie schlang die Arme um den Leib und wartete darauf, dass der Schmerz nachließ. Behutsam tasteten ihre Finger über den Rippenbogen; sie wusste, dass der Schmerz von dort kam – und sie erinnerte sich an den schweren Stiefeltritt, der ihn verursacht hatte. Zumindest hatten sie das Kind nicht umgebracht. Sie schloss die Augen und unterdrückte ein Stöhnen.
    »Ist alles in Ordnung?« Henrys Stimme ließ sie zusammenschrecken.
    Sie lehnte sich an ihn, als er hinter ihr auf dem schwankenden Deck stehen blieb, und lächelte ihm beruhigend zu. »Nur ein wenig Magenschmerzen«, sagte sie leichthin. »Ich glaube, ich werde mich ein Weilchen hinlegen.«
    »Soll ich mitkommen? Ich bin hier fast fertig.« Seine blauen Augen blickten sorgenvoll.
    Sie schüttelte den Kopf. »Nein, nein«, sagte sie rasch. »Ich bin jetzt besser allein. Wahrscheinlich werde ich im Handumdrehen eingeschlafen sein.« Sie küsste ihn auf die Wange und schmeckte das Salz auf seiner Haut, spürte die Kühle des Windes und war sich bewusst, dass sie nicht ehrlich zu ihm war. Aber sie tröstete sich mit dem Gedanken, dass es ihr gelungen war, ihre Unpässlichkeit fast fünf Monate lang vor ihm zu verbergen: Es hatte ja keinen Sinn, ihn zu beunruhigen, wenn er doch nichts tun konnte.
    Maureen begab sich über die schmale Treppe hinunter in die Schlafquartiere der dritten Klasse. Sie hörte ein Baby weinen, Fiedelklänge und Geplauder. Kein Zweifel, dachte sie, während sie langsam auf ihr durch einen Vorhang abgetrenntes Abteil zuging, die Iren verstehen sich darauf, aus jeder Situation das Beste zu machen.
    Nur die schweren Vorhänge, die man nachts zuziehen konnte, boten in den Reihen der Kojen ein wenig Privatsphäre. Maureen und Henry waren in der Abteilung für Ehepaare untergebracht. Weiter vorn in Richtung Bug befanden sich die Kojen der Frauen. Männer und junge Burschen hausten im Heck, und von dort kam der meiste Lärm. Lange Tische und Bänke standen zwischen den beiden Sektionen; dort wurden die Mahlzeiten eingenommen, und man versammelte sich, um zu plaudern und seine schlichten Philosophien auszutauschen, aber auch, um Fiedel und Trommel zu spielen und die alten irischen Lieder zu singen.
    Sie zog den Kopf ein, um sich nicht an der oberen Koje zu stoßen, und ließ sich auf die klumpige Matratze sinken. Der Schmerz ließ allmählich nach, aber ihr war schwindlig und flau. Sie legte sich die raue Decke über die Schultern und zog die Knie an. Wenn sie schlafen könnte, würde es ihr

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